Es sei "schlimmer als alles, was man je in Abu Ghraib oder Guantanamo" gesehen habe: So drastisch macht die Menschenrechtsorganisation "Human Rights First" auf weltweit 24 US-Haftanstalten aufmerksam, in denen tausende mutmaßliche Al-Kaida-Kämpfer und irakische Rebellen festgehalten und misshandelt werden. Unabhängig davon, dass die Anwendung von Folter dem Völkerrecht klar widerspricht, haben US-Militärangehörige jetzt folgende Frage aufgeworfen: Ist die Folterung von Kriegsgefangenen grundsätzlich ein effektives Mittel zur Informationsbeschaffung im Kampf gegen den Terror?
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Die Bilder aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib und Berichte über Misshandlungen auf dem Militärstützpunkt Guantanamo haben ein gewisses Unbehagen in den USA ausgelöst. So legten zuletzt sogar republikanische Senatoren einen Gesetzesentwurf vor, wonach es "klare" Richtlinien für die Behandlung von mutmaßlichen Terroristen bei Verhören geben müsse. Interessantes Detail dabei: Einer der Politiker, John McCain, war während des Vietnam-Krieges selbst in Gefangenschaft geraten.
"Sei nett zu Gefangenen"
Auch innerhalb der US-Streitkräfte ist man auf der Suche nach Alternativen zu den gängigen "tough methods". Eine Gruppe von altgedienten Armeedolmetschern hat sechs Monate vor dem öffentlichen Bekanntwerden der Vorfälle in Abu Ghraib einen Report des US-Offiziers Sherwood F. Moran ins Internet gestellt. Moran verhörte während des Zweiten Weltkrieges japanische Kriegsgefangene und hat in diesem Zusammenhang eine Methode entwickelt, die ihn damals zum erfolgreichsten Befrager in der US-Army machte. Morans Motto lautete schlicht: "Sei nett zu Kriegsgefangenen."
Der Report des Majors gilt unter US-Geheimdienstmitarbeiter als zeitloser Klassiker und Standardwerk für Verhörspezialisten. Demnach sind Einschüchterung und Folter von Gefangenen in höchstem Maße Effizienz mindernd. Moran verweigerte sich in den Jahren 1943/44/45 erfolgreich der gängigen Vorstellung, die Brutalität des Japan-Krieges, die Fanatisierung des Gegners erfordere die härtest möglichen Maßnahmen, um Kriegsgefangene zum Reden zu bringen. Erfolg versprechender sei es, dem auf Grund seiner Lage ohnedies Eingeschüchterten klar zu machen, dass er sich in völliger Sicherheit befinde, der Krieg für ihn vorbei wäre. Schon die damals übliche Prozedur, wonach der Verhörte von zwei Bewaffneten flankiert "Habtacht" gestellt wurde, hielt Moran für kontraproduktiv. Der Gefangene würde in eine Feind-Feind oder Sieger-Besiegter-Situation gedrängt und sich seiner ehrenhaften (Schweige-) Pflicht als Soldat bewusst.
Sherwood F. Moran, dessen Erfolge nachweislich spektakulär waren, versuchte, dem Gefangenen Achtung und Sympathie entgegen zu bringen. Dabei halfen ihm sein Wissen um Sprache und Kultur Japans, das er sich in seiner Funktion als Missionar über Jahrzehnte angeeignet hatte.
Den Widerstand brechen
Von dieser Methode sind die USA im Laufe der Jahrzehnte abgekommen. Selbst ein interner US-Untersuchungsbericht zu Befragungs-Methoden in Guantanamo bestätigt, dass US-Vernehmungssoldaten versuchen, Informationen zu erpressen, indem sie mit Verfolgung der Familie des Verhörten drohen. Laut Menschenrechtsorganisationen und US-Medien werden Kriegsgefangene Opfer sexueller Erniedrigung und kultureller Tabubrüche - worunter unter anderem die Schändung des Koran vor den Augen gläubiger Moslems fällt. Außerdem würden Gefangene durch Schlafentzug und die Verwendung von Kapuzen desorientiert, durch stundenlanges Anketten an den Boden psychisch gebrochen und durch Ausnützung von Phobien, etwa vor Hunden, eingeschüchtert.
Kritiker stellen schon länger die Frage, ob diese Methoden, die Terrorringe aufdecken und Anschläge verhindern sollen, nichts weiter als sinnlose Schikane sind: Im Fall von Abu Ghraib habe die Folter von Verdächtigen jedenfalls "zu keiner verwertbaren Information geführt", so James Corum, Professor an einer US-Militärakademie.
Die "Wiener Zeitung" hat über die Thematik mit dem deutschen Psychiater und Folteropfer-Therapeuten, Ferdinand Haenel, der Gewaltforscherin Rotraud Perner und Heinz Patzelt von Amnesty International gesprochen.
Eingeschränkt "effektiv"
Für Heinz Patzelt ist Folter zur Gewinnung wahrheitsgetreuer und damit verwertbarer Information nur sehr eingeschränkt "effektiv". Dann nämlich, wenn es sich um "schlichte, schnell nachprüfbare Ja/Nein Antworten" handle. Komplexe Sachverhalte seien mit Gewalt kaum zu klären - etwa die personelle Struktur von Terror-Netzen. Hier neige der Gefolterte dazu, jene Informationen preiszugeben, die den Zielen seiner Organisation am wenigsten schadeten. Dazu komme, dass die Peiniger oft einer Art Selbstbetrug unterlägen: "In letzter Konsequenz erzählen die Leute unter Folter das, wovon sie annehmen, dass es der Peiniger hören will - und das muss nicht die Wahrheit sein. Zur Gewinnung eines konkreten Geständnisses wird deshalb heute so gut wie nicht mehr gefoltert", so Patzelt.
"Träger wichtiger Informationen sind häufig darauf geschult, nichts Wesentliches preiszugeben", so Ferdinand Haenel, Psychiater am Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin. "Man weiß von Geheimdienstmitarbeitern, die gezielt auf mögliche Folter-Situationen vorbereitet werden." Komme ein Mensch in eine völlig ausweglose Situation - in der Sprache des Psychiaters: Er verfügt dann über keine psychische Modulationsfähigkeit mehr - dann sei ein Geständnis wahrscheinlich. Wobei dieses aber "völlig paradoxen" Inhalts sein könne, so Haenel.
Höchst gefährlich für den Mediziner sind die "Nebenwirkungen" erlittener psychischer Folter, vor allem wenn sie durch kulturelle Tabubrüche hervorgerufen werden: "Das Opfer fühlt sich nicht nur als Individuum in den Dreck gezerrt, sondern bekommt den Eindruck, dass durch seine Person das Wertesystem, an das es glaubt, Schaden genommen hat." Das Opfer reagiere darauf häufig mit Selbstmord oder "kämpferischer Selbstvernichtung". Man schaffe mit psychischer Folter "laufende Bomben".
"Über Androhung von Folter holt man nichts aus einem Menschen heraus, man macht ihn nur kaputt", so die Psychotherapeutin und Gewaltforscherin Rotraud Perner. Wobei die Methode der systematischen Demütigung oder kultureller Tabubrüche bei gläubigen Moslems besonders gravierende Folgen hätte. Die in islamischen Ländern zumeist herrschende materielle Armut führe zu einem Klammern der Menschen an moralische Werte. "Erhabenheit wird dort durch Moral geschaffen, die bewusste Zerstörung dieser Werte wirkt sich verheerend aus", so Perner.
Mittel der Abschreckung
Die Verwertbarkeit von unter Folter erhaltener Information ist demnach also fraglich. Warum wird also gefoltert? Für Heinz Patzelt ist das Phänomen vielschichtig. Da gäbe es zum einen junge, karrieristisch orientierte Soldaten, die gegenüber Vorgesetzten mit schnellen Resultaten punkten wollten. Daneben gehe es darum, potentielle Widerständische im Irak und in Afghanistan abzuschrecken. Im Fall der in Ketten gelegten Häftlinge von Guantanamo habe die US-Regierung der eigenen Bevölkerung signalisieren wollen: "Wir haben die Verbrecher und wir sind in der Lage, sie in einem Akt der Revanche zu demütigen."