Der Politologe Emmerich Talos, Karl Öllinger, Sozialsprecher der Grünen, und Elisabeth Rolzhauser vom ÖGB thematisierten am Donnerstag in einer Pressekonferenz das in Österreich ständig wachsende Problem Armut.
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Armutsgefährdet sind in Österreich Personen, deren gewichtetes Jahreseinkommen weniger als 9.425 Euro (monatlich 785 Euro) beträgt. Im Jahr 2003 waren das laut jüngstem Sozialbericht 13,2 Prozent der Bevölkerung oder 1.044.000 Menschen. Im Fall von 467.000 Personen (5,9 Prozent) spricht man von "verfestigter Armut", bei 577.000 Personen (7,3 Prozent) von "Einkommensarmut". Die Armutsgefährdung ist seit 1998, als sie bei 11 Prozent lag, ständig gestiegen.
Emmerich Talos, Politologe an der Universität Wien und Autor des Buches "Bedarfsorientierte Grundsicherung" (Mandelbaum Verlag, Wien 2003), sieht "Handlungsbedarf" und die Notwendigkeit, den Zugang zu Sozialhilfeleistungen zu erweitern.
Talos zählte auf, wer meist in den Haushalten lebt, die am stärksten von Armut betroffen sind: Langzeitarbeitslose, Behinderte, Alleinerziehende und kleine Kinder, Migranten und allein stehende ältere Menschen. Würde der Sozialstaat nicht durch seine Leistungen das Verarmungsrisiko reduzieren, "wären nicht 13, sondern 42 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet".
In absehbarer Zeit werde sich an der Problematik nicht viel ändern, diagnostiziert Talos, denn die Verbreitung atypischer Erwerbsarbeitsformen schreite weiter voran, die Vielfalt von Lebensformen und familiären Formen werde andauern und eine offensive Politik zur Vermeidung und Eindämmung von Armut sei nicht in Sicht. Dabei stelle Armut kein unabwendbares Schicksal dar, es gebe Modelle in Richtung Grundsicherung in den Niederlanden, in der Schweiz und in Dänemark.
Armutsvermeidung sei nicht zum Nulltarif zu haben, aber ökonomisch leistbar, erklärte Talos. Die Kosten für eine Grundsicherung habe man vor drei Jahren mit etwa 900 Millionen Euro berechnet. Talos zitierte den Wiener Caritas-Direktor Michael Landau: Es sei keine Frage der finanziellen Machbarkeit, sondern ob man etwas tun wolle oder nicht. Ein politischer Wille zu massiver Armutsbekämpfung ist für Talos derzeit nicht erkennbar: "Lippenbekenntnisse schaffen die Realität von Armut und Ausgrenzung in Österreich nicht ab."
Grünen-Sozialsprecher Karl Öllinger verwies darauf, dass im Jänner 2005 hochgerechnet 254.000 Leistungsbezieher des Arbeitsmarktservice von Leistungen abhängig waren, die unter dem Existenzminimum lagen. Alle Sozialhilfe-Richtsätze erreichen nicht das gewichtete Jahreseinkommen, das für Armutsgefährdung relevant ist. Der niedrige Ausgleichzulagenrichtsatz treffe vor allem auch ältere Menschen, insbesondere Frauen, die über keine Alterspension verfügen. Für Öllinger hat man im Sozialministerium die Entwicklung verschlafen: "Frau Sozialministerin, wachen Sie auf!" Namens seiner Partei betonte Öllinger: "Existenzsicherung hat für uns Vorrang vor Lebensstandardsicherung."
Elisabeth Rolzhauser vom ÖGB erinnerte daran, dass in Österreich im Vorjahr über 800.000 Menschen mindestens einmal arbeitslos waren. Mit steigender Tendenz sei in Österreich bereits mehr als eine Million Menschen atypisch beschäftigt, oft schlecht bezahlt und ohne ausreichenden Versicherungsschutz. Die Zahlen von geringfügig oder in Teilzeitarbeitsverhältnissen Beschäftigten sowie von Neuen Selbstständigen sind massiv gestiegen. Der ÖGB fordert nun eine Reform der Notstandshilfe und eine bundeseinheitliche bedarfsorientierte Mindestsicherung.