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Förderung oder Überforderung?

Von Petra Tempfer

Politik
Mozart für Babyohren soll zwar nicht wirklich die musikalische Begabung fördern - ist aber mitunter beruhigend.
© © Patryk Kosmider - Fotolia

Lernen passiert vor allem im Alltag, eine bestimmte Bezugsperson ist wichtig.


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Wien. "Meines kann schon mehr als deins", prahlt eine junge Mutter nur halb im Scherz vor dem Start des Englischkurses für ihr Kind, eine schüchterne Dreijährige. Die Mutter wirkt gestresst: Muss sie doch gleich nach der Englischstunde zur musikalischen Früherziehung - und danach weiter zum Schwimmkurs.

Die Frühförderung von Kindern boomt. Das Helen-Doron-Early-English-Institut etwa bietet Englischkurse für Babys ab drei Monaten an. Laut Österreich-Geschäftsführerin Monika Laschkolnig ist der Zustrom enorm. 6000 Kinder besuchten derzeit einen Kurs, der im Monat rund 45 Euro koste - vor zehn Jahren waren es 2000. Die US-Franchisekette "FasTracKids" wiederum, die seit 2010 auch in Wien vertreten ist, bietet Ökonomie und Mathematik, Rhetorik und Geologie für Zwei- bis Neunjährige an. Mit dem Training sollen laut amerikanischer Website "tomorrow’s leaders" herangebildet werden. Kostenpunkt: 580 Euro pro Semester.

Laut Bernhard Kalicki vom Deutschen Jugendinstitut fällt vor allem die Mittelschicht dem Trend anheim, Kinder so früh wie möglich zu fördern. Und die anderen? Die Ungeförderten aus bildungsfernen Schichten vielleicht mit Migrationshintergrund - sind sie die Benachteiligten mit geringer Chance auf eine erfolgreiche Zukunft? "Ja", sagt Bildungswissenschafterin Eva Novotny, "aber nicht, weil sie keine Förderkurse bezahlt bekommen haben - sondern, weil sie keine Perspektiven haben." Sie merkten früh, welchen Handlungsspielraum sie haben "und passen sich diesem an".

Perspektiven entwickeln

Um Perspektiven entwickeln zu können, sollten sie in Schulen gehen, wo Kinder unterschiedlicher Schichten zusammenkommen. Bildungscampi mit Kindergärten und Schulen, wie der erste Österreichs 2009 in Wien-Favoriten eröffnet hat, seien ein Weg dorthin. Die deutsche Sprache etwa könnten sie so im Alltag lernen. Denn: "Wir lernen, wenn etwas persönlichen Sinn macht - und Sinn machen die Beziehungen zu anderen. Wenn sich Eltern freuen, dass ihr Kind die ersten Schritte macht, wird es sich immer wieder hochziehen und zu gehen versuchen. Druck und Beschämung, wenn die Leistung nicht den Erwartungen entspricht, sind hingegen kontraproduktiv", so Novotny.

Durch aufgedrängte Frühförderung, zum Beispiel Klavierstunden mit grantigem Lehrer, könnten Kinder sogar eine anhaltende negative Haltung gegen das Lernen entwickeln. Psychologin Karin Busch-Frankl formuliert es drastischer: "Die Frühförderung dient oft nur der Beruhigung des schlechten Gewissens der Eltern, weil sie selbst keine Zeit haben. Das kann aber in Überforderung gipfeln - dann will das Kind gar nichts mehr machen und hat außerdem nicht gelernt, seine Interessen zu finden." Novotny wiederum versteht zwar den übertriebenen Ehrgeiz vieler Eltern: "Sie werden ja dazu getrieben, das Beste aus dem Kind herauszuholen, weil es bereits für die meisten attraktiven Volksschulen Aufnahmeprüfungen gibt." Herta Staffa vom Jugendamt warnt allerdings: "Auch geförderte Kinder können vernachlässigt werden: Weil sich sonst keiner um sie kümmert und sie keine Bezugsperson haben."

Wenige empirische Studien

Wem und ob Frühförderung nun tatsächlich hilft, scheint also fraglich. Und auch über ihren medizinischen Nutzen herrscht Unklarheit. Kommt doch etwa Heiner Böttger, Professor für Englischdidaktik an der Katholischen Uni Eichstätt-Ingolstadt in Deutschland, zu dem Schluss, dass "die in den Lernzentren früh geförderten Sprachkompetenzen positive Auswirkungen auf die schulische Performance" haben. Eine gängige Meinung ist, dass Kinder Dinge, die sie in sogenannten sensiblen Phasen lernen, lebenslang können, weil das entsprechende Areal im Gehirn angelegt wurde.

"Darüber gibt es weniger empirische Studien als es Aussagen gibt", meint dazu Kalicki. Dass etwa Ungeborene, die mit Mozart-Sinfonien beschallt werden, musikalisch werden, sei "nicht wirkungsvoll erwiesen". Fakt sei, dass Kinder im ersten Lebensjahr enorm aufnahmefähig seien und die generelle Gehirnentwicklung vom Input, also Stimulationen, gesteuert sei. "Dabei geht es aber nicht um bestimmte Inhalte", betont Kalicki und rät Eltern zu mehr Gelassenheit. "Anstatt sich zu stressen, ein Programm für Kleinstkinder zusammenstellen, könnten sie ihrem Kind einfach vorlesen. Es auf diese Art zu fördern, ist sicher nicht falsch."