Zum Hauptinhalt springen

Forschung in Nähe der Politberatung

Von Alexia Weiss

Wissen
Bei Scheinehen werde gegen bestimmte Gruppen härter vorgegangen, meint Irene Messinger. Foto: St. Beig

Die "Forschungsgruppe Kritische Migrationsforschung" fordert neue Schwerpunkte. | Der Diskurs wird vom Integrationsimperativ einseitig beherrscht. | Wien. Erstmals findet von 20.bis 22. September die Jahrestagung der österreichischen Migrations- und Integrationsforschung statt. Organisiert wird sie von der Forschungsplattform "Migration and Integration Research" der Uni Wien und der Kommission für Migrations- und Integrationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. | Migranten im Blickfeld der Medien


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Zu den Teilnehmern gehört auch die Politikwissenschafterin Irene Messinger, Mitglied der "Forschungsgruppe Kritische Migrationsforschung", die gemeinsam mit anderen jungen Forschern, die Migrationsforschung in Österreich kritisch betrachtet.

"Wiener Zeitung": Aus welchem Impuls heraus wurde die "Forschungsgruppe Kritische Migrationsforschung" vor vier Jahren gegründet? Irene Messinger: Wir sind eine selbstorganisierte Gruppe von Doktoranden, die in der Migrationsforschung einige kritische Themensetzungen vermissen. Den Diskurs beherrscht derzeit der Integrationsimperativ - also Integration als verpflichtende individuelle Leistungen seitens der Migranten. Unberücksichtigt bleiben dabei die restriktiven Rahmenbedingungen, die Jahrzehnte, in denen Migranten hier bereits diskriminiert werden.

Die Gruppe ist im deutschen Sprachraum gut vernetzt. Unterscheidet sich Österreichs Migrationsforschung von der deutschen?

Bei der Integrationspolitik ist die Ausrichtung ähnlich - es geht in Richtung Assimilation. Was die Lage der Migrationsforschung anbelangt, gibt es aber große Unterschiede: Die Abhängigkeit von öffentlichen Stellen ist nicht so groß wie in Österreich. Das führt bei uns dazu, dass es kaum Migrations- oder Rassismusforschung gibt, sondern meist nur Integrationsforschung. Wissenschafter mit kritischeren Ansätzen forschen oftmals im Prekariat.

Ist Ihre Kritik an der Schwerpunktsetzung an einem konkreten Beispiel festzumachen?

Erinnern Sie sich etwa an die von der damaligen Innenministerin Liese Prokop 2006 in Auftrag gegebene Studie zu Integration. Nur die sogenannte "Integrationsunwilligkeit" von Muslimen in Österreich wurden dann publik gemacht. Daraus wurde entsprechend politisches Kapital geschlagen. Wenn es nur Auftragsforschung gibt, begünstigt das solche missbräuchliche Vermarktung. Bernhard Perchinig, Politikwissenschafter an der Uni Wien, kritisiert ganz richtig, dass es bei der Finanzierung eine Monopolstellung des Innenministeriums gibt. Das hat Auswirkungen auf die Inhalte der Forschungslandschaft. Dazu kommt noch wenig Transparenz bei der Auftragsvergabe. Das führt zu einem Naheverhältnis zwischen Politikberatung und Migrationsforschung, denn beide sind sehr nahe ans Innenministerium angebunden.

Wie sieht die Einbindung von Wissenschaftern in die Migrationsforschung aus, die selbst Migrationshintergrund haben?

Es gibt kaum Doktoranden mit Migrationshintergrund, die sich einbringen. Das zeigt einerseits die Selektivität der Unis. Andererseits werden in diesem Bereich auch kaum Dissertationen gefördert. Perchinig hat 2005 in einem Arbeitspapier festgestellt, dass in Österreich von der Migrationsforschung 15 bis 20 Forscher vollberuflich leben können, weitere 20 bis 30 halbtags, der Rest lebt in prekären Verhältnissen. Die Migrationsforschung boomt zwar inzwischen, aber an der finanziellen Situation hat sich nichts Wesentliches geändert.

Braucht die Migrationsforschung mehr Wissenschafter mit eigenem Migrationshintergrund?

Eine ähnliche Diskussion wurde vor langem bei der Frauenforschung geführt. Die Frage, wer Wissen über sich produzieren darf, ist in der Wissenschaft zentral. Wenn gesellschaftliche Faktoren eine soziale Gruppe von der Wissensproduktion ausschließen, ist das höchst problematisch. Das bedeutet aber nicht, dass Migrationserfahrung Bedingung für kritische Migrationsforschung ist.

Was verstehen Sie unter dem Begriff Migrationshintergrund?

Wie jeder Begriff impliziert auch dieser eine Kategorisierung, die zwischen den Zugehörigen und den Nicht-Zugehörigen unterscheidet. Damit werden auch soziale Realitäten geschaffen. Dennoch ist es sowohl für empirische Forschung wie politische Analysen notwendig, Begriffe zu verwenden. Begriffliche Präzision ist erforderlich, und es liegt letztlich in der Verantwortung der einzelnen Forscher, hier einen geeigneten Begriff für das jeweilige Forschungsvorhaben zu finden.

Sie kritisieren auch, dass die Migrationsforschung Migranten in die Opferrolle drängt. Wie könnte man hier gegensteuern?

2004 gab es die Ausstellung "Gastarbajteri" im Wien Museum. Das war schon ein richtiger Ansatz. Darüber hinaus gibt es aber wenig Forschung zu Fragen wie: Was haben sich Migranten bereits politisch erkämpft? Welche migrationspolitische Entwicklungen haben welche Auswirkungen auf einzelne Gruppen genommen?

Womit befassen Sie sich in Ihrer wissenschaftlichen Arbeit?

Mein Thema ist die staatliche Konstruktion der Schein- und Aufenthaltsehe. Seit 2006 gibt es in Österreich die Aufenthaltsehe als strafrechtlich relevantes Delikt - für das bis zu ein Jahr Haft droht. Ich sehe mir das unter dem Aspekt der Intersektionalität an. Darunter versteht man Diskriminierung auf Grund mehrerer Faktoren, wie bei schwarzen Frauen, die gleichzeitig von Sexismus und Rassismus betroffen sind. In meiner Forschung zeigt sich, dass bestimmte Gruppen wegen des Delikts Aufenthaltsehe eher verdächtigt werden als andere.

Welche Gruppen sind das?

Es sind einerseits Ehen zwischen österreichischen Frauen und nigerianischen Asylwerbern. Andererseits auch Verbindungen zwischen Österreichern mit serbischem Hintergrund, die einen Serben oder eine Serbin heiraten wollen. Sie werden von den Behörden genau überprüft. Bei Ehen mit Drittstaatsangehörigen besteht inzwischen eine Mitteilungspflicht der Standesämter an die Fremdenpolizei, die dann zwischen Aufgebot und Eheschließung aktiv werden kann. Es kam schon zu Verhaftungen bei der Hochzeitszeremonie. Grundsätzlich kommt es zur stärkeren "Versicherheitlichung" von Migration.

"Versicherheitlichung"? Was versteht man darunter?

Das kommt aus dem Englischen "securitization". Der Diskurs über Migration wird mehrheitlich vom Thema Sicherheit überlagert. Ein Beispiel sind die jährlich herausgegebenen Zahlen zu Migration, finanziert vom Innenministerium. 2008 wurde hier die Rubrik Sicherheit noch nicht angeführt, seit 2009 ist sie in der Publikation enthalten. Und natürlich geht es hier um Kriminalität - und nicht um die Sicherheit der Migranten.

www.univie.ac.at/kritische-migrationsforschung