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Das Fachmagazin "Science" präsentierte seine Jahresliste der zehn bahnbrechendsten Forschungsarbeiten.
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Wien. Für das renommierte US-Fachmagazin "Science" ist es klar: Die europäische Raumfahrtmission "Rosetta" ist das wissenschaftliche Highlight des Jahres 2014. Nach zehnjähriger Reise schwenkte die Raumsonde der Europäischen Raumfahrtagentur ESA im August in die Umlaufbahn des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko jenseits des Mars ein. Im November landete ihr Roboter Philae erstmals auf einem Kometen. Der ungeplant schattige Landeplatz, der Energiegewinnung durch Sonnenstrom kaum zulässt, täte der Spitzenposition keinen Abbruch, so das Magazin.
Auf der Jahresliste der zehn bahnbrechendsten Forschungsarbeiten, die von der "Science"-Redaktion und ihrem Herausgeber, der US-Akademie der Wissenschaften (AAAS), erstellt wird, stehen weiters große Fortschritte der Medizin, Robotik, Synthetischen Biologie und Paläontologie. Trotz seiner unerwartet rauen Landung, bei der Philae von der Oberfläche abprallte, statt sich zu verankern, kam der Roboter letztlich zum Stillstand und nahm unverzüglich die Arbeit auf. Schon die ersten Daten, die er zur Erde funkte, hätten "neues Licht auf die Entstehung und Evolution solcher Kometen" geworfen: "Philaes Landung war eine unglaubliche Leistung, die weltweite Aufmerksamkeit erhielt," begründet "Science"-Redakteur Tim Appenzeller die Wahl: "Die ganze Rosetta-Mission ist ein Durchbruch, weil sie die Entwicklung eines Kometen - Erwärmung, Gase, Schweifbildung - erste Reihe fußfrei mitverfolgt."
Rosetta startete im März 2004 vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou ins All. Nun umkreist sie "Tschuri" und kommt bis auf zehn Kilometer an seine Oberfläche heran. Mit an Bord sind Kameras und Spektrometer, die Kometen-Gase sammeln und deren Zusammensetzung analysieren. Jüngst konnte das Gerät "Rosina" (Rosetta Orbiter Sensor for Ion and Neutral Analysis) nachweisen, dass Wasser doch nicht über Einschläge vom Kometen von Tschuris Typ zur Erde kam - es ist schwerer als irdisches Wasser.
Nun suchen die Forscher nach Spuren von organischem Material. Wenn Kometen vor Jahrmillionen organische Elemente zur Erde gebracht haben, könnte diese (zusätzliche) Vielfalt die Entstehung von Leben auf unserem Planeten beschleunigt oder gar ermöglicht haben, ist die Annahme.
"Durchbrüche sollen entweder Probleme der Menschheit lösen, oder Tore für die Forschung öffnen", erklärt der stellvertretende Chefredakteur des Magazins, Robert Coontz: "Im Fall von Rosetta haben wir die interessanteste Wissenschaft noch vor uns."
In der Astronomie zählt "Science" auch günstige Nano-Satelliten (ab einer Größe von zehn Quadratzentimetern) zu den Senkrechtstartern des Jahres 2014. Einige der Miniaturen, die an sich der Ausbildung von Universitätsstudenten dienen, sind derzeit im All unterwegs. Etwa sammeln die beiden österreichischen Nano-Satelliten, "Tugsat" und "Unibrite" Daten in der Erdumlaufbahn.
Weiters lobt das Magazin eine Reihe von Arbeiten, deren Autoren Fossilien von Dinosauriern und frühen Vögeln mit heutigen Vögeln verglichen und eine facettenreiche Evolution zutage förderten. Aus bestimmten Dino-Arten entwickelten sich viele kleine, leichte Vögel, die das Massernsterben vor 66 Millionen Jahren überlebten.
Jung repariert Alt: Forscher konnten zeigen, dass das Blut von jungen Mäusen, welches einen Faktor namens GDF11 enthält, die Muskeln und Gehirne älterer Mäuse verjüngt. Die Implikationen lassen Fantasien ewiger Jugend aufkommen. Vorerst erhalten Alzheimer-Patienten in klinischen Tests das Blutplasma junger Spender.
In den Geisteswissenschaften haben Archäologen die Datierung von Höhlen-Malereien in Indonesien überprüft. Die Resultate brachten einen Paradigmenwechsel: Die Bilder sind nicht 10.000, sondern 35.000 bis 40.000 Jahre alt. Womit laut den Forschern davon ausgegangen werden kann, dass symbolische Kunst in Asien genau so früh entstand wie in Europa.
Roboter kooperieren: Eine neue Software steuert Roboter-Schwärme so, dass sie sich zu simplen Strukturen gruppieren, ohne dass der Mensch sie steuert. Für die Studienautoren ist dies der Beweis, dass Roboter von selbst zusammenarbeiten können. Eine andere Gruppe hat neuromorphische Chips entwickelt, die Information nach dem Vorbild des lebenden Gehirns verarbeiten. Wiederum andere Forscher manipulieren Erinnerung: Mithilfe einer speziellen Lichtstrahlen-Technik haben die Optogenetiker gewisse Erinnerungen in Mäuse-Gehirnen ausgelöscht und gingen dabei sogar so weit, gute durch schlechte Erinnerungen zu ersetzen. Bleibt zu hoffen, dass niemand dies als Foltermethode aufgreift.
Für die Zukunft hält "Science" die Eisschmelze in der Arktis für brisant, ebenso wie die Suche nach Therapien für Ebola. Die weltweite Reaktion auf die gefährliche Infektionskrankheit bezeichnet das Magazin als "Zusammenbruch des Jahres".
Köpfe des Jahres
(ski) Das Journal "Nature" erstellte diese Liste der zehn wichtigsten Personen der Wissenschaft 2014:
Andrea Accomazzo (Italien), der Flugdirektor der europäischen Kometenmission "Rosetta";
Sjors Scheres, britischer Strukturbiologe;
Masayo Takahashi, japanische Augenärztin, die den ersten Einsatz sogenannter induzierter pluripotenter Stammzellen bei einem Menschen geleitet hat;
Koppillil Radhakrishnan, Leiter der ersten erfolgreichen Marsmission Indiens; Radhika Nagpal aus Indien, die am Massachusetts Institute of Technology in den USA Schwärmen von Robotern beigebracht, miteinander zu kommunizieren und zu kooperieren;
Maryam Mirzakhani, in den USA tätige iranische Mathematikerin, als erste Frau 2014 Trägerin der renommierten Fields-Medaille;
Pete Frates (USA), der an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) leidet, der als Erfinder der Ice-Bucket-Challenge gilt, die viele Spenden für diese Krankheit erbracht hat;
Astrophysiker David Spergel (USA);
Suzanne Topalian, US-Krebsforscherin, die der Immuntherapie gegen Krebs vom Labor in die Praxis verholfen hat;
Ebola-Arzt Sheik Humarr Khan aus Sierra Leone, der im Kampf gegen die verheerende Epidemie gestorben ist.