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Fortschritt oder Fehltritt?

Von Daniel AJ Sokolov

Wissen

Für längere Raumfahrten von Sonden und Raumschiffen hoffen Wissenschaftler auf Plasmaantriebe, da diese hoch effizient sind. Aber möglicherweise verwirren elektrische Wechsel- | wirkungen die Messgeräte an Bord? Dann wäre die Hoffnung zu begraben. Der Österreicher Michael Klicker (29) geht im niederländischen Noordwijk genau dieser Frage nach.


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Ein Plasmaantrieb stößt einen Strom energetisch hoch geladener Teilchen (Ionen) aus, im luftleeren Raum abseits starker Schwerkräfte ergibt sich daraus ein Vorwärtsschub. Das erste europäische Raumobjekt mit Plasmaantrieb ist die Sonde Smart 1 der European Space Agency (ESA). Sie wurde im Dezember 2003 gestartet und schwenkt zur Zeit in eine Umlaufbahn um den Mond ein.

Für so eine - im kosmischen Maßstab kurze - Reise ist der Plasmaantrieb suboptimal - ein deutlich schnellerer chemischer Antrieb, der Treibstoff verbrennt, wäre durchaus finanzierbar. Zweck von Smart 1 ist aber gerade, Tauglichkeitsbeweise für eine ganze Reihe neuer Technologien zu erbringen. Die Sonde wird in ihrer relativ niedrigen Mond-Umlaufbahn rund zehn wissenschaftliche Experimente durchführen sowie die Mondoberfläche nach mineralogischen Gesichtspunkten kartografieren.

Smart 1 reichen lediglich 50 Kilogramm Xenon-Plasma für die Fahrt zum Mond. Die Solarzellen der Sonde erzeugen Strom, der einerseits das Xenon positiv lädt und andererseits einen Teilchenbeschleuniger antreibt. Dieser schießt das Plasma mit rund 22.000 Metern pro Sekunde ins Vakuum, was die Raumsonde mit einigen tausend Metern pro Sekunde vorwärts treibt. Damit sich die Sonde nicht negativ auflädt, gibt eine Kathode parallel Elektronen dem Plasmastrom hinzu. Ein Plasmaantrieb ist zwar hoch effizient, aber auch relativ langsam. Schnellere chemische Antriebe würden für weite Reisen aber so große Vorräte an Treibstoff mit sich führen müssen, dass sich viele Missionen bislang als unfinanzierbar erwiesen haben.

Störungen im Vakuum

Doch das Vakuum, in dem sich die Sonde bewegt, ist kein komplettes Vakuum - und hier beginnt das Problem. Im All schwirren immer einzelne geladene Teilchen herum, bisweilen kommen störende Sonnenwinde hinzu. Bei einem Plasmaantrieb führt dies zu Streueffekten im Plasmastrom, einzelne Xenon-Ionen können an anderen Teilchen abprallen und zurück auf die Sonde geschleudert werden. "Direkte Schäden sind dadurch zwar nicht zu befürchten, aber wenn dieser Effekt auf einer langen Reise über mehrere Jahre auf ein Objekt einwirkt - was ist dann?" Dieser Frage geht Michael Klicker am European Space Technology and Engineering Center (ESTEC), der Forschungseinrichtung der ESA im niederländischen Noordwijk, nach.

Der österreichische Physiker ist Master of Space Studies der International Space University (ISU) und Spezialist für Elektrodynamik und Festkörperphysik. "Die auftreffenden Ionen verändern den elektrischen Ladezustand der Sonde. Das verträgt sich möglicher Weise nicht mit der sensiblen Elektronik an Bord", erklärt Klicker, "ich will aber anhand von Smart 1 den Beweis erbringen, dass das kein Problem ist. Es sieht gut aus." Die bisherigen Messergebisse zeigten, dass es zwar messbare, aber keine "spürbaren" Auswirkungen auf die Mission gäbe. "Wahrscheinlich gibt es keine Beeinflussung, aber für ein endgültiges Ergebnis ist es noch zu früh."

Die Ergebnisse von Klickers Arbeit werden in das Spacecraft Plasma Interaction System (SPIS) einfließen; dieses Software-Paket simmuliert die Auswirkungen des Plasma auf das Raumobjekt anhand dessen Bauplänen. Zukünftige Sonden sollen gleich so konstruiert werden, dass es tatsächlich zu keinen Problemen kommt.

"Wozu brauchen wir das?"

Die effizienten Plasmaantriebe haben aber auch einen Pferdefuß. Sie sind langsam. Der 1,4-Kilowatt-Thruster von Smart 1 bringt gerade 70 Millinewton Schub. "Wir sehen heute die Anfangsstadien der Plasmaantriebstechnologie in Betrieb. Es gibt konkrete Pläne für 5-10 KW-Thruster, auch 100 KW sind technisch gesehen kein Problem. Die Frage ist, wozu brauchen wir das?", so Klicker. "Für die erdnahe Raumfahrt ist das kaum nüzlich, da es hier auf schnelle Beschleunigung und starkes Abbremsen ankommt. Für geostationäre Satelliten, die heute schon teilweise Plasmaantriebe zum Halten ihrer Position einsetzen, wäre das ziemlich oversized."

Allerdings denkt die NASA schon daran, ihre JIMO-Mission zur Erfoschung der Jupiter-Monde mit magnetoplasmadynamischen Antrieben, einer Variante von Plasmaantrieben, und Nuklearreaktoren auszustatten. Der Jupiter ist zu weit von der Sonne entfernt, um einen wirtschaftlichen Einsatz von Solarzellen zu ermöglichen.