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Die Ukraine wird Schritt für Schritt an die Standards der Europäischen Union angepasst.
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Wie zum Hohn begann der Freitag mit einem landesweiten Luftalarm in der Ukraine. Russische Kampfflugzeuge waren über belarussischem Territorium aufgestiegen, just zur selben Zeit, als sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel zum Gipfel mit Staatschef Wolodymyr Selenskyj treffen sollten. Die 15 Kommissare, die von der Leyen begleiteten, waren schon zuvor Richtung Polen abgereist. Obwohl: Der offizielle Zeitplan war sehr vage gehalten worden, genaue Abfolge und Örtlichkeiten blieben aus Sicherheitsgründen verschleiert. Man war auf alles vorbereitet.
Selenskyj nutzte die Gelegenheit, auf weitere Unterstützung zu drängen. Die gibt es auch: 150 Millionen Euro sollen für den Wiederaufbau der von Russland zerstörten Energie-Infrastruktur bereitgestellt werden. Zudem wird die EU weitere 2.400 Stromgeneratoren zur Verfügung stellen. Bis zum ersten Jahrestag des Kriegsbeginns soll auch ein neues Paket mit Russland-Sanktionen beschlossen werden. Schon früher beschlossen, aber nun am Start: Ab Sonntag dieser Woche will die EU keine Raffinerieprodukte wie Diesel, Benzin oder Schmierstoffe mehr aus Russland abnehmen. Österreich hat seit April 2022 aber ohnehin keine russischen Erdölprodukte mehr bezogen.
Doch neben konkreter Unterstützung geht es vor allem um die Zukunftsperspektiven. Kurz vor dem Gipfel hatte Selenskyj eine konkrete Beitrittsperspektive für sein Land gefordert. "Ich glaube, dass es die Ukraine verdient hat, bereits in diesem Jahr Verhandlungen über die EU-Mitgliedschaft aufzunehmen." Eine weitere Integration in die Europäische Union würde den Ukrainern "Energie und Motivation geben, trotz aller Hindernisse und Bedrohungen zu kämpfen", so Selenskyj. Zuletzt hatte Ministerpräsident Denys Schmyhal von einem "EU-Beitritt in den nächsten zwei Jahren" gesprochen.
Das wird nicht klappen. Zunächst einmal muss die Kommission den Grad der Beitrittsreife bewerten. Dazu soll es mehrere Etappen geben, eine noch im April, eine im Herbst. Einem starren Zeitplan erteilte von der Leyen am Freitag eine Absage.
Das offensive Vorgehen, mit dem in der Ukraine in Korruptionsfällen aufgeräumt wird, ist ein Signal an Europa, auf dem richtigen Weg zu sein. Allerdings reichen Signale alleine noch nicht aus, um für einen Beitritt in Frage zu kommen. Allein schon der Umstand, dass das Kriegsende noch bei weitem nicht in Sicht ist und somit nicht einmal feststeht, über welches Territorium die Ukraine souverän verfügen kann, rückt einen tatsächlichen Beitritt in weite Ferne. Nach wie vor ist auch der Status der Länder des Westbalkans, die schon seit Jahren in Warteschleifen verharren, damit verknüpft.
"Zukunft liegt in der EU"
Die weit auseinanderklaffenden Zugänge in der Frage machten die Schlusserklärung zur schwierigen Angelegenheit. Hier ist die Rede vom "Teilen gemeinsamer Werte", die "Zukunft der Ukraine liegt in der EU". Brüssel würdigt die beträchtlichen Anstrengungen und begrüßt die "Reformbemühungen in solch schwierigen Zeiten". Begrüßt wird ausdrücklich die verstärkte Angleichung der Ukraine an die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Zusammenarbeit mit der Venedig-Kommission, um Demokratie, Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit zu festigen. Des Weiteren ist die Rede von einem "Friedensformel-Gipfel" und der gemeinsamen Arbeit an einem zehn Punkte umfassenden Friedensplan. Brüssel gelobt auch, EU- und völkerrechtskonform nach Wegen zu suchen, wie man eingefrorene russische Vermögenswerte zur Wiedergutmachung einsetzen kann.
Zunächst aber gibt es abseits der Beitrittsfrage Fortschritte auf vielen Ebenen, die die Ukraine - wenn schon zu keinem EU-Mitglied - doch zu einem stark assoziierten Drittland machen. Das betrifft unter anderem erleichterte Ein- und Ausfuhr von Industriegütern, die Verlängerung der Zollfreiheit für Exporte um ein weiteres Jahr, die Verlinkung des Bankensystems, die Verschränkung der Energieversorgung, die Nutzung von Bildungsprogrammen und vieles mehr. Das Land wird, obwohl es sich im Abwehrkampf gegen Russland befindet, Schritt für Schritt an EU-Standards angepasst.
Kiew war zum EU-Gipfel in Blau und Gelb getaucht, den Landesfarben, und, der Zufall will es, auch den Farben der EU. Es herrsche große Einigkeit im ganzen Land darüber, dass der Weg in die EU der richtige sei, sagte Denys Schmyhal; das mache die eigenen Entscheidungsprozesse sehr rasch möglich.