Alfred Wegener begründete vor 100 Jahren die Theorie der Kontinentalverschiebung, die sich allerdings erst nach dem Tod des Wissenschafters allmählich durchzusetzen begann.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die Kongruenz oder Passung der atlantischen Küstenlinien Afrikas und Südamerikas ist zwar auffällig und wurde bereits im 16. Jahrhundert erkannt, fand aber erst im 20. Jahrhundert eine plausible Erklärung. Lange Zeit dominierte unter Geologen die Vorstellung von der Stabilität der Landmassen und Kontinente. Dagegen vermutete der Berliner Astronom, Mete-orologe, Geophysiker und Grönlandforscher Alfred Wegener für frühere Perioden der Erdgeschichte die Existenz eines einheitlichen Urkontinents ("Pangäa"), der in der Folge durch Kontinentalverschiebung oder Kontinentaldrift auseinanderbrach.
Wegener lag mit seiner Vermutung richtig, denn auch manche bemerkenswerten Ähnlichkeiten vor allem zwischen der afrikanischen und südamerikanischen Pflanzen- und Tierwelt legen nahe, dass beide Kontinente einst "zusammengehörten".
Allerdings stieß Wegener zunächst auf schroffe Ablehnung und erntete sogar Spott und Hohn. Heute gehört die Theorie der Kontinentalverschiebung zu den Grundbausteinen des geologischen Wissens, und ihr Urheber zählt zu den wegweisenden Gestalten in der Erforschung unseres Planeten und seines Werdens. Doch sollten Jahrzehnte vergehen, bis ihm die gebührende Anerkennung zuteil wurde - die der Forscher, der anlässlich einer Grönlandexpedition einen frühen Tod fand, allerdings nicht mehr auskosten konnte.
Ein Leben fürdie Wissenschaft
Der am 1. November 1880 in Berlin geborene Alfred Lothar Wegener war das fünfte Kind eines Theologen und Gymnasiallehrers. Wie auch seine Brüder, bekundete er früh ein lebhaftes Interesse an den Naturwissenschaften und begann in Berlin im Oktober 1899 das Studium der Fächer Physik, Astronomie und Meteorologie, welches er im Frühjahr 1905 glänzend zu Ende brachte. Bereits während des siebten und achten Studiensemesters war er Assistent an der Volkssternwarte Urania in Berlin und wurde nach seiner Promotion Assistent am Aeronautischen Observatorium Lindenberg bei Beeskow (im Bezirk Frankfurt an der Oder), wo er sich - gemeinsam mit seinem Bruder Kurt - mit der genauen Bestimmung der Flugbahn eines Ballons beschäftigte.
Bereits ein Jahr danach brach Wegener - unter der Leitung des Dänen Ludvig Mylius-Erichsen - zu seiner ersten von insgesamt vier Grönlandexpeditionen auf, von der er nach zwei Jahren und zwei Monaten zurückkehrte. Während dieser Expedition baute er die erste meteorologische Sta-tion in Grönland auf.
Diese Expedition war insgesamt recht erfolgreich, wurde aber vom Tod ihres Leiters und zweier weiterer Expeditionsteilnehmer überschattet. Die Erforschungsgeschichte Grönlands hatte erst im 19. Jahrhundert begonnen und war, wie die Polarforschung insgesamt, ein waghalsiges Abenteuer, das oft genug tragisch endete.
Wegener hat sich als Grönlandforscher besondere Verdienste erworben. Nach seiner ersten Expedition aber entschied er sich für die Universitätslaufbahn und wurde zunächst Privatdozent für Meteorologie, praktische Astronomie und kosmische Physik in Marburg.
Als Wegener im Frühjahr 1910 einen neu erschienenen Atlas zur Hand nahm und die Weltkarte betrachtete, kam ihm der Gedanke, dass die genau zueinander passenden Küstenlinien von Westafrika und dem östlichen Südamerika auf einen früheren geologischen Zusammenhang zurückgeführt werden könnten. Er müsse diesem Gedanken nachgehen, schrieb er Else Köppen, der Tochter seines ehemaligen Meteorologie-Lehrers Peter Köppen, die er im November 1913 heiratete.
In ihren Grundzügen stellte Wegener seine Theorie 1912 auf der Hauptversammlung der Geologischen Vereinigung im traditionsreichen - nunmehr seit fast 200 Jahren bestehenden - Senckenberg Museum in Frankfurt am Main vor. Sein Vortrag stieß allerdings auf Misstrauen und Ablehnung. In diese Zeit fällt seine zweite Expedition nach Grönland, die nicht zuletzt deshalb Erwähnung verdient, weil Wegener mit seiner kleinen Mannschaft auf dem Inlandeis überwinterte - es war die erste jemals unternommene Überwinterung auf dem grönländischen Inlandeis.
Vom Ersten Weltkrieg blieb auch Wegener nicht verschont. Er musste als Reserveoffizier der Infanterie an der Front in Belgien und Frankreich dienen und wurde zweimal verwundet. Allerdings wurde er wegen eines Herzfehlers bald frontdienstuntauglich geschrieben und dem Heereswetterdienst zugeteilt, was sein ständiges Herumreisen zwischen verschiedenen Wetterwarten quer durch Europa erforderte.
Die Entfaltungder Theorie
Nach dem Ersten Weltkrieg ließ er sich mit seiner Familie - zwischenzeitlich waren zwei Töchter zur Welt gekommen - in Hamburg nieder, wo er als Meteoro-
loge an der Deutschen Seewarte arbeitete und 1921 zum außerordentlichen Professor berufen wurde. Den Höhepunkt seiner akademischen Laufbahn markiert allerdings der Ruf als ordentlicher Professor für Meteorologie und Geophysik an die Universität Graz (1924), wo ihm leider kein sehr langes Wirken beschieden sein sollte.
Seit seinem Vortrag in Frankfurt arbeitete Wegener an seiner Theorie der Kontinentalverschiebung unbeirrt weiter, fasste sie zunächst in einer Veröffentlichung in den "Geographischen Mitteilungen" zusammen und ließ schließlich - während eines längeren Krankenurlaubs mitten im Ersten Weltkrieg - 1915 sein Buch "Die Entstehung der Kontinente und Ozeane" erscheinen. Wenn auch fünf Jahre später eine zweite Auflage des Buches fällig wurde, fand es im Ganzen kaum Beachtung. Mag sein, dass die Kriegswirren dem Band nicht gerade förderlich waren, aber auch seine weiteren Ausgaben stießen kaum auf fruchtbaren Boden. Zwar wurden von einigen anderen Forschern da und dort Beobachtungen veröffentlicht, welche die Theorie der Kontinentalverschiebung stützten, durchsetzen konnte sich die Theorie aber längere Zeit nicht.
Ein weiterer Weltkrieg verfinsterte die Erde, erst danach fand die Theorie allmählich die ihr gebührende Beachtung und Anerkennung. Noch im "Großen Brockhaus" aus dem Jahr 1957 wird im Eintrag "Verschiebungstheorie" (gleichsam zurückhaltend) vermerkt, dass diese Theorie zwar manche Erscheinungen der Südkontinente besser als andere Theorien erklärt, zu vielen geologischen Tatsachen aber im Widerspruch steht. Die Widersprüche sind mittlerweile jedoch weitgehend beseitigt, die Theorie genießt unter Erdwissenschaftern volle Anerkennung.
Man geht heute davon aus, dass der Urkontinent vor etwa 200 Millionen Jahren auseinanderzufallen begann und der Südatlantik vor rund 65 Millionen Jahren an die 3000 Kilometer breit war. Wegener hatte auch vollkommen recht, dass das Verbreitungsbild vieler heutiger Pflanzen- und Tiergattungen nur durch die Existenz einstiger Landbrücken erklärbar sei. Er bemerkte: "Erst nach Abbruch dieser Landverbindung kam es zur Aufsplitterung in die (. . .) verschiedenen Arten. Es ist wohl nicht zuviel gesagt, dass die ganze Entwicklung des Lebens auf der Erde und die Verwandtschaft der heutigen Organismen auch auf weit getrennten Kontinenten uns ein unlösbares Rätsel bleiben muss, wenn wir nicht solche ehemaligen Landverbindungen annehmen." Seine Theorie lieferte daher auch einen veritablen Beitrag zum Verständnis der Evolution der Lebewesen.
Seit 1915 war Wegener beständig mit dem Ausbau seiner Theorie beschäftigt und bemühte sich, möglichst viele empirische Tatsachen aus verschiedenen Disziplinen der Geowissenschaften zu berücksichtigen. Allerdings blieb erauch der Grönlandforschung treu.
1929 unternahm er seine dritte Expedition ins "ewige Eis", die der Vorbereitung auf seine vierte und letzte Grönlandfahrt diente. Dabei sollten nicht zuletzt neuartige Propellerschlitten erprobt werden. Die Expedition startete am 1. April 1930 unter Wegeners Leitung als die große "Deutsche Grönland-Expedition" mit über zwanzig Wissenschaftern und Technikern. Ihr Ziel war, das grönländische Inlandeis im Jahresablauf geophysikalisch und meteorologisch zu messen.
Früher Todim Grönlandeis
Diese Expedition wurde Wegener zum Verhängnis. Die Propellerschlitten leisteten nicht die erwarteten Dienste, Proviant musste - bei tiefem Neuschnee und Temperaturen bis zu minus 54 Grad Celsius - mit Hundeschlitten über hunderte Kilometer transportiert werden. Wegener starb 1930, etwa zwei Wochen nach seinem fünfzigsten Geburtstag, vor nunmehr also 85 Jahren. Sein genaues Sterbedatum lässt sich nicht eruieren. Den Leichnam fand man erst im Mai des darauf folgenden Jahres. Auch die genaue Todesursache ist nicht bekannt. Allerdings liegt es nahe, dass er an Unterkühlung, allgemeiner Erschöpfung und Herzversagen starb.
Man kann Alfred Wegener als einen Querdenker der Wissenschaft bezeichnen, der an einem festgefügten Paradigma rüttelte und ein neues Paradigma begründete. Wegeners Idee der Kontinentalverschiebung ist heute für jeden Erdwissenschafter eine Selbstverständlichkeit; sie lässt uns die Dynamik unseres Planeten begreifen. Sein Werk und dessen zunächst von Ablehnung begleitete Rezeptionsgeschichte zeigen jedoch, dass das Selbstverständliche oft mühsam erkämpft werden muss, und dass an einmal liebgewonnenen Vorstellungen häufig hartnäckig festgehalten wird.
Wegeners Werk zeigt aber ebenso, dass eine brauchbare Idee in der Wissenschaft nicht ohne Weiteres verloren geht, sondern sich auch nach dem Tod ihres Urhebers noch ihren Weg bahnen kann.
Franz M. Wuketits, geboren 1955, lehrt Wissenschaftstheorie mit dem Schwerpunkt Biowissenschaften an der Universität Wien und ist Autor zahlreicher Bücher. Zum Thema des vorliegenden Beitrags: "Außenseiter in der Wissenschaft. Pioniere - Wegweiser - Reformer", Springer Verlag, 2015.