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FP-Wahlkampf: "Beim Strache waren's drei Mal so viel"

Von Martin Tschiderer

Politik
Die FPÖ ist zurück am Viktor-Adler-Markt - der nach einem Sozialdemokraten benannt ist.
© Tschiderer

Am Viktor-Adler-Markt bringt sich die FPÖ für die Wien-Wahl in Stellung.


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Wien. Es ist lange her. Gefühlt sogar noch länger als tatsächlich. Einst war dieser Platz, der paradoxerweise nach einem Sozialdemokraten benannt ist, so etwas wie das öffentliche Teilzeit-Wohnzimmer der FPÖ. Wahlkampf um Wahlkampf ließ die Partei hier einleiten oder ausklingen. Blaue und rot-weiß-rote Fahnen, dicht gedrängte Anhänger-Scharen, die traditionelle Einstimmungsmusik der John-Otti-Band.

Dazu Polizei-Einheiten, die Korridore zwischen FPÖ-Fans und den ebenso traditionellen Gegendemonstrationen zogen. Nicht selten war der blaue Abschluss gleichzeitig auch der Auftakt für einen (relativen) Erfolg bei der folgenden Wahl. Und heute? Am Dienstag gab es den ersten großen öffentliche Auftritt der FP-Spitze seit Beginn des Corona-Lockdowns.

Nicht nur der freiheitliche Wien-Chef Dominik Nepp hatte seinen Auftritt geplant. Auch Klubobmann Herbert Kickl und Bundesparteivorsitzender Norbert Hofer haben sich angekündigt für die Kundgebung "gegen den schwarz-grünen Corona-Wahnsinn". Und "Wir sind das Gegengewicht" hat man als Motto ausgegeben.

Die ersten Anhänger trudelten schon eine Stunde vor Beginn ein. Manche trugen Mundschutz, andere FPÖ-Polos, wieder andere Jacken von Motorrad-Clubs. Auf den Boden vor der Bühne hat man Baby-Elefanten mit der Aufschrift "Freiheit für Österreich" geklebt. Jetzt reicht’s, steht auf einem Stempel darüber. Ansonsten gibt es die vertrauten FPÖ-Zelte und blauen Luftballons. Fast wie in vergangenen Zeiten. Die Voraussetzungen aber sind völlig andere als in vergangenen Zeiten.

Absturz vorausgesagt

Als man sich im September 2015 zuletzt auf eine Wien-Wahl einschwor, da war der Platz derselbe, die Partei aber eine andere. Eine "Revolution gegen die rot-grüne Aristokratie" in der Hauptstadt beschwor der damalige Parteichef Heinz-Christian Strache. Am Wahltag fünf Wochen später sollten die Freiheitlichen der roten Bürgermeisterpartei mit 30,8 Prozent so nahe kommen wie noch nie. Heute ist Strache für die FPÖ nicht mehr Zugpferd, sondern Gegner.

Bei der Wien-Wahl im Oktober wird er mit seinem "Team HC Strache" antreten - und den vom Ibiza-Skandal gebeutelten Freiheitlichen wohl zusätzlich wertvolle Prozentpunkte wegnehmen. Aktuelle Umfragen sagen den Freiheitlichen einen Absturz von 30 auf 8 Prozent voraus. Wie übel nehmen die blauen Anhänger das ihrem einstigen Polit-Star?

"Beim Strache waren's drei Mal so viele Leute, wenn er hier gesprochen hat", sagt Andreas Schaden, Erwachsenenbildner und Favoritner. "Und beim Haider sind die Leute überhaupt bis hinter dem Delka gestanden", sagt er und deutet ans Ende des Platzes. Schaden hat schon häufig FPÖ gewählt, für die heurige Wien-Wahl ist er noch unentschlossen. Auch Strache zu wählen sei noch eine Option. "Ich halte mir alle Optionen offen", sagt er und lacht. Ein paar Meter weiter steht ein Mann um die vierzig mit seiner Lebensgefährtin. Sie halten ein Schild für die Aufhebung des Gastro-Rauchverbotes in die Höhe.

"Wir haben immer FPÖ gewählt", sagt die Frau. Strache sei für beide keine Option mehr. "Wenn einer was anstellt, hat er sich selber abg’schossen", sagt der Mann. "Das Wichtigste ist aber, gegen den Horror-Clown Kurz zu wählen. Der hat den Leuten nur sinnlose Angst gemacht mit seinen 100.000 Toten."

Inzwischen hat die John-Otti-Band zu spielen begonnen. "Da, wo die Liebe deinen Namen ruft, wirst du es hören, wenn sie nach dir sucht", dröhnt es zum Schlager-Beat aus den Boxen. Die Gruppe aus Kärnten macht seit langen Jahren den musikalischen Einpeitscher für die Blauen. An den Marktständen reihen sich türkische Bäckereien neben Pferdefleischer und Nudel-Imbisse. Und im multikulturellen Favoriten, wo türkische Staatsbürger die größte Gruppe jener ausmachen, die keinen österreichischen Pass haben, ist die SPÖ zwar immer noch stärkste Partei.

Zugpferd Arbeitslosigkeit

Seit den 1990ern sind die Freiheitlichen aber - wie in den meisten klassischen Arbeiterrevieren - zum zweiten politischen Faktor im Bezirk geworden. ÖVP, Grüne und Neos haben hier kaum ein Leiberl. Wie man sich vor der Wien-Wahl positionieren will, das machte Nepp schon im Vorfeld der Kundgebung deutlich: Der Finanzminister und Wiener ÖVP-Chef Gernot Blümel lasse seine Heimatstadt im Stich und sei für Geschäftesterben und hohe Arbeitslosigkeit "hauptverantwortlich". Es brauche mehr Direktzahlungen für Unternehmen statt "reiner Worthülsen". Und: "Fremde Staatsbürger" sollen keine Leistungen mehr aus der Mindestsicherung beziehen. Damit würde der rot-grüne Magnet für Sozialzuwanderer wegfallen".

Zum Start seiner Rede spricht Nepp die dunklen Wolken an, die gerade am Favoritner Himmel über die Wahlkampfbühne ziehen. "Aber bis zum Oktober haben wir die auch vertrieben", sagt er. Die treuen Besucher der Veranstaltungen am Viktor-Adler-Markt sind sich da nicht ganz so sicher. "Das, was da rund um Strache passiert ist, wird beide Parteien runter ziehen", sagt Andreas Schaden.

Wenig später wird unter "Herbert, Herbert"-Rufen Klubobmann Kickl eingeklatscht. "Wir brauchen hier keine Baby-Elefanten. Dieses Viech wird bei uns nicht heimisch werden", sagt der Klubobmann, nachdem er gelobt hat, dass es vor der Bühne auch "großteils ohne Maskarade" gehe. Gelächter in den Reihen, die sich auch nach dem kurzen Sprühregen nur zaghaft füllen. Das war unter Strache noch anders.

Baby-Elefanten ohne Menschen

Zwischendurch verschieben ein paar Mitarbeiter die FPÖ-Flaggen, die die Kundgebung begrenzen sollen, einige Meter nach vorne – die Baby-Elefanten am Boden müssen ohne menschliche Gesellschaft auskommen. Ein paar andere Mitarbeiter in blauen FPÖ-Jacken haben sich inzwischen schon hinter die Bühne verabschiedet. Und während der Klubobmann am Mikrofon die Einwanderungspolitik anprangert, trinken sie im nahen Gastgarten des "Türkis", der Wiener Restaurantkette mit orientalischem Essen, weißen Spritzer.

Dann noch einmal die John-Otti-Band, bevor der Bundesparteiobmann die Bühne betritt. Schunkeln und Händewinken im Publikum. "Hallo Wien", begrüßt Hofer das Publikum und verweist auf Gegendemonstranten, die ihre Protestschilder auf Amazon-Kartons gemalt hätten. "FPÖ raus aus unserem Grätzl", steht auf einem davon. Die Protestierer lassen sich heute allerdings an zwei Händen abzählen. Die Bereitschafts-Polizisten, die neben der Bühne stehen, scheinen einen recht entspannten Dienst zu versehen. Keine Parolen skandierenden politischen Gegner sind heute mit Helmen und Absperrungen voneinander zu trennen. Auch das war unter Strache noch anders.