In der Steiermark hat die "Reformpartnerschaft" aus SPÖ und ÖVP viele Wähler verprellt. Zwei Wahlen stehen 2015 an.
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Graz. In der Steiermark wird im nächsten Jahr gewählt - und zwar gleich zweimal: der Landtag und die Gemeinderäte (ohne Graz). Während SPÖ und ÖVP seit Jahren Wähler verlieren, wird die FPÖ Prognosen zufolge weiter Stimmen dazugewinnen und vielleicht sogar stärkste Partei in der Steiermark werden. Aber warum eigentlich?
Das Ergebnis der Nationalratswahl 2013 sorgte für ein farbliches Neuarrangement auf der österreichischen Landkarte. War es über Jahrzehnte stets Kärnten, das als einziges Bundesland am Abend der Hochrechnung blau aufschien, so traf dies diesmal einzig und allein auf die Steiermark zu. Dort lukrierte die FPÖ 24 Prozent der Stimmen und verbannte SPÖ (23,8 Prozent) und ÖVP (20,9 Prozent) auf die Plätze zwei und drei. Zwar konnte die FPÖ bereits 1998 bei der Gemeinderatswahl in Graz mit 26,8 Prozent den zweiten Platz vor der ÖVP (23,2 Prozent) und hinter der SPÖ (30,9 Prozent) erreichen, aber 2015 scheint mit den Gemeinde- und Nationalratswahlen nun erstmals der erste Platz in greifbare Nähe zu rücken. Ein Szenario, das vor allem für die rot-schwarze Landesregierung eine große Herausforderung darstellt.
Regierung im Stimmungstief
Ob sich Landeshauptmann Franz Voves (SPÖ) und sein Stellvertreter Hermann Schützenhöfer (ÖVP) noch einmal einer Wahl stellen werden, ist noch genauso unklar wie die Frage, wer den beiden bei einem Rücktritt nachfolgen soll. Denn einerseits verfügt keine der beiden Parteien in ihren zweiten Reihen über Kandidaten, die einen Wahlkampf gegen die FPÖ stemmen könnten, zum anderen hat die "Reformpartnerschaft" von Rot-Schwarz einen sehr bitteren Nachgeschmack bei den Steirern hinterlassen.
Mit Einsparungen im Sozialbereich von 25 Prozent, Schulschließungen, dem langen Festhalten am Pflegeregress, aber vor allem mit den "Zwangsfusionen" von unzähligen Gemeinden haben SPÖ und ÖVP hier nicht zuletzt ein Protestwählerpotenzial genährt und der FPÖ in die Hände gespielt. Von ursprünglich 542 Gemeinden sollen im nächsten Jahr nur noch 288 übrig sein. Viele Zusammenlegungen riefen heftige Proteste innerhalb der Bevölkerung hervor und bescherten den Regierungsparteien ein Image-Tief. Laut einer Umfrage des steirischen Trendbüros bmm im Auftrag der "Steirer Krone" im März 2014 sind mehr als die Hälfte der Steirer mit der Arbeit der Reformpartnerschaft unzufrieden.
Die FPÖ, von der bisher noch nie ein Vertreter auf dem steirischen Landesthron Platz genommen hat, wurde so reichlich Material für eine erfolgreiche Oppositionspolitik geliefert.
"Schmuddelkinder"
Doch all das allein ist nicht der Grund für eine stetig wachsende Wählerklientel der FPÖ in der Steiermark, wie der Politologe Anton Pelinka erklärt. Die Gründe dafür sind vielmehr historisch bedingt. "In der Steiermark, vielleicht noch etwas stärker als in anderen Bundesländern, wurden die Wurzeln der FPÖ nur selten kritisch thematisiert. Und diese Wurzeln weisen die FPÖ als personelle (nicht programmatische) Nachfolgepartei der NSDAP aus. Da ÖVP und SPÖ in der Steiermark diesen Aspekt der FPÖ-Frühgeschichte nie hervorgehoben haben, fehlt der Effekt, der in Deutschland das Aufkommen einer solchen Partei verhindert hätte - die Einstellung ,mit diesen Schmuddelkindern spielen wir nicht‘." Zudem lade eine Sparpolitik, wie sie von der "Reformpartnerschaft" betrieben wird, besonders zu einem oppositionellen Populismus ein.
Historisch gesehen sei die Steiermark in dieser Hinsicht gut mit Kärnten zu vergleichen, erklärt Dieter A. Binder vom Institut für Geschichte an der Karl Franzens Universität Graz. "In Kärnten wurden die Nationalsozialisten nach 1945 von der SPÖ inhaliert, in der Steiermark passierte dies ab den 1950er Jahren durch die ÖVP." Bereits in den 1920er Jahren verband beide Parteien, zusammen mit den Deutschnationalen, eine zutiefst skeptische und ablehnende Haltung gegenüber dem Marxismus aus Wien, der noch dazu sehr jüdisch geprägt war. Der Antikommunismus blieb auch nach 1945 die tragende Schiene. "Im Zuge der Versöhnungspolitik der beiden großen Parteien SPÖ und ÖVP wurde der Nationalsozialismus weitgehend ignoriert", sagt Binder.
Doch auch der Grenzlandcharakter der Steiermark und ein damit einhergehender Antislawismus diente den Deutschnationalen und später der FPÖ als guter Grund zu gedeihen. So weisen auch Gebiete im Nord- und Mittelburgenland oder auch die ehemalige Nazihochburg Krems einen hohen Anteil an FPÖ-Protestwählern auf.
Kameraderie gegen Links
"In der Steiermark gab es mit der FPÖ immer eine Kameraderie gegen Links", sagt Binder.
Bereits der ehemalige steirische Landeshauptmann Josef Krainer junior pflegte ein freundschaftliches Verhältnis mit Jörg Haider, der 1990 zum 60. Geburtstag Krainers sogar samt Männerchor aus Kärnten anreiste, um dem ÖVP-Chef ein Ständchen zu bringen. Und auch schon bei Krainers erstem Wahlkampf 1981 war ein gutes Einvernehmen mit der FPÖ zu vermerken, weiß der Historiker.
Seit den 1990er Jahren profitiert die FPÖ stets vom Protestwählerpotenzial, sowohl in der früher industriegeprägten Mur-Mürzfurche als auch im bäuerlichen Milieu in der Süd- und Oststeiermark. Die FPÖ hat in den letzten Jahren zudem einen Wandel vollzogen. Während die Partei in der jüngeren Vergangenheit noch durch Skandale - wie 2008 ausgelöst durch die ehemalige Grazer Stadträtin und Nationalratsabgeordnete Susanne Winter, die den Propheten Mohammed in einer Rede als "Kinderschänder" bezeichnete - auffiel, so verhielt sich die Partei unter Landesrat Gerhard Kurzmann eher ruhig. Aber auch sein Nachfolger Mario Kunasek, der die Partei in den Wahlkampf führen wird (der Landesparteivorstand hat das am Montag entschieden), ist bisher unauffällig geblieben.
Anton Pelinka vermutet dahinter eine Taktik: "Die FPÖ mäßigt sich mittlerweile in ihrem öffentlichen Auftreten. Ich sehe das als Teil einer Strategie (,Die FPÖ wird staatsmännisch‘), die den anderen Parteien die Scheu nehmen soll, die FPÖ als Zünglein an der Waage zu akzeptieren. Etwa bei der Entscheidung über den Landeshauptmann."
Heute befinden sich unter den FPÖ-Wählern vor allem sehr viele junge Männer. Für Dieter A. Binder ist diese Entwicklung mit dem Aufleben eines orthodoxen Islam vergleichbar, "auch hier ist die dritte Generation der Enkel sehr offen dafür".
Spezialisten fehlen
Welche Bedeutung hätte ein FPÖ-Wahlsieg in der Steiermark eigentlich für den Rest Österreichs? "Es ist natürlich ein ,bandwagon‘- Effekt möglich, der der FPÖ insgesamt nützt. Die Frage ist dann nur, wer sich als Mehrheitsbeschaffer für die FPÖ zur Verfügung stellt", lautet die Analyse von Anton Pelinka. "Ein Wahlsieg der FPÖ auf Bundesebene wäre für mich persönlich eine Katastrophe und mit der Situation um Viktor Orbán in Ungarn vergleichbar", teilt der Historiker Binder mit.
Doch ein Sieg der FPÖ in der Steiermark wäre in erster Linie ein lautes Signal an die Bundesregierung. Sind es in der Steiermark aktuell Sparmaßnahmen im sozialen Bereich und strukturelle Veränderungen innerhalb der steirischen Landkarte, die ein breites oppositionelles Betätigungsfeld für die Freiheitlichen bieten, agierten SPÖ und ÖVP auf Bundesebene bisher als Wahlkampfhelfer der FPÖ. Möglich, dass ihnen nun ein Neustart gelingt.
Abseits der Oppositionsrolle wurde es für die Partei meist schwierig. "Die FPÖ hat stets gezeigt, dass sie in Regierungsverantwortung nicht in der Lage ist, die Alltagsgeschäfte zu bewältigen. Das liegt unter anderem daran, dass sie kaum Spezialisten aus einem bürokratischen Milieu aufweisen", erläutert Binder. Man erinnere sich an die beiden schwarz-blauen Koalitionen in den Jahren 2000 bis 2006, deren Erbe zum Teil in Untersuchungsausschüssen und Gerichtsverfahren aufzuarbeiten versucht wurde. In Kärnten konnte die Partei zwar über Jahrzehnte, wenn auch zuletzt in Abspaltung von der Mutterpartei, ihre Dominanz halten. Doch auch hier hinterließen Haider und seine Erben Schulden und zum Teil noch immer unaufgeklärte Korruptionsfälle. So könnte sich ab 2015 in der Steiermark lediglich wiederholen, was auf Bundesebene bereits durchlebt wurde.