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FPÖ blitzte mit Veto-Drohung ab

Von Brigitte Pechar-Nitsch

Europaarchiv

Abgeblitzt ist die FPÖ gestern im Hauptausschuss des Nationalrates mit ihrem Antrag an die Regierungsmitglieder, beim informellen EU-Rat in Brüssel am Donnerstag und Freitag klarzustellen, dass bis zur Ratifikation des Beitrittsvertrages die Aufhebung der Benes-Dekrete und eine Nullvariante für das AKW-Temelín notwendig seien. Nicht einmal ihr Noch-Koalitionspartner ÖVP konnte das mittragen, auch SPÖ und Grüne stimmten dagegen. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hatte schon im Vorfeld erklärt, dass er sich in Brüssel "aus voller Überzeugung" für die EU-Erweiterung einsetzen werde. Die SPÖ sieht die Regierung im Chaos versinken. Für die Grünen ist klar, dass die FPÖ auf die Oppositionsbank gehört.


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"Die Erweiterung ist in österreichischem Interesse", betonte Schüssel. Die ÖVP sei "zu hundert Prozent für die Erweiterung". Ausständige Probleme müssten Schritt für Schritt einer sachlichen Lösung zugeführt werden. Der Kanzler sprach sich etwa für eine gemeinsame Versöhnungserklärung mit Tschechien zur Beilegung des Streits um die Benes-Dekrete zur Vertreibung und Enteignung von Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg aus. Auch die Delegationsleiter von SPÖ, ÖVP und FPÖ, Hannes Swoboda, Ursula Stenzel und Daniela Raschhofer hatten Montagabend in Straßburg betont, Österreich müsse, ähnlich wie dies 1997 die deutsche Regierung getan hat, ihr Bedauern über die Teilnahme von Österreich und die Mitschuld an den Verbrechen der Nationalsozialisten in der früheren Tschechoslowakei zum Ausdruck bringen, wenn man eine Erklärung Prags zu den Vertreibungen der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg wolle.

Dieser Forderung konnte sich gestern auch FPÖ-Klubobmann Karl Schweitzer "selbstverständlich" anschließen. Auch eine gemeinsame Erklärung von Tschechien und Österreich ist für ihn vorstellbar. Hart bleiben will die FPÖ bei ihrer EU-kritischen Wahlkampflinie. Sie versuchte daher gestern mit einem Antrag im Hauptausschuss, der einer Veto-Drohung an Tschechien gleichkommt, den Kanzler und die Außenministerin an Vorgaben zu binden. Wer dem nicht zustimme, handle "nicht im Interesse der österreichischen Bevölkerung", erklärte Schweitzer am Vormittag. Er berief sich auch auf das Regierungsübereinkommen, in dem festgeschrieben sei, dass die EU-Erweiterung "österreichverträglich" sein müsse.

Dieser Argumentation wollte im Hauptausschuss dann aber nicht einmal Koalitionspartner ÖVP folgen. Die FPÖ blieb mit ihrem Anti-Tschechien-Kurs im Parlament allein.

Nationalratspräsident Heinz Fischer bezeichnete den FPÖ-Antrag als "Wahlkampfmunition mit Schlupflöchern". SPÖ-Europasprecher Caspar Einem sieht die schwarz-blaue Regierung in einem Chaos. Er wies darauf hin, dass Schüssel die Erweiterung als "Herzstück" der Regierungsarbeit bezeichnet habe. Schüssel werde sich entscheiden müssen, ob die FPÖ unter ihrem "Noch-Obmann Reichhold wirklich ein möglicher Koalitionspartner für die ÖVP nach der Wahl sein kann".

Der Grüne Bundessprecher Alexander Van der Bellen hat der FPÖ vorgeworfen, einen provinziellen Wahlkampf mit der Anti-EU-Erweiterungskampagne zu führen. Dieser Stil sei vielleicht in der Opposition von einer maximal Zehn-Prozent-Partei noch vertretbar, "ist aber völlig unvereinbar mit einer Regierungsposition. Da fragt man sich langsam, wozu die ihre Zeit auf der Regierungsbank noch versitzen, wenn sie offenbar schon in die Oppositionsbänke abgewandert sind", so Van der Bellen.

Bericht über Tschechiens Vorbereitung am 19. November

Die Debatte über die Benes-Dekrete geht im EU-Parlament weiter. Als nächsten formalen Schritt werden die Abgeordneten am 19. November ihren Bericht über die Vorbereitung Tschechiens auf die EU-Mitgliedschaft verabschieden. Darin wird auch auf die Benes-Dekrete Bezug genommen werden. Im Entwurf zu dem Bericht, zu dem es noch Änderungen geben wird, heißt es vorerst: Das EU-Parlament "bezieht sich auf die vom EP in Auftrag gegebenen Gutachten (Frowein) und unterstützt deren Kernaussagen, dass die Präsidentendekrete kein unüberbrückbares Hindernis für den EU-Beitritt Tschechiens sind, dass aber die tschechische Seite hinsichtlich des Straffreistellungsgesetzes von 1946 eine politische Geste des Bedauerns zeigen sollte, dass nach dem Beitritt alle Unionsbürger die gleichen Rechte auf dem Territorium der Tschechischen Republik haben, und dass in-absentia-Urteile außer Kraft gesetzt werden".