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FPÖ verlangt zweite Chance bei Hofburg-Wahl

Von Nina Flori und Werner Reisinger

Politik

Strache ficht BP-Wahl an, Hofer schätzt Chancen "exorbitant hoch" ein - Experten sind eher skeptisch.


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Wien. "Wir sind keine schlechten Verlierer!" FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ist bemüht, die Wahlanfechtung der Bundespräsidentschafts-Stichwahl als demokratiepolitischen Dienst seiner Partei darzustellen. Am Mittwoch präsentierte der FPÖ-Chef den Journalisten ein 150-seitiges Konvolut, das penibel alle Missstände auflistet, die der FPÖ von Bürgern und Wahlbeisitzern der knappen Stichwahl vom 22. Mai gemeldet worden seien. "Ohne diese Manipulationen hätte Norbert Hofer Bundespräsident werden können", ist Strache überzeugt.

Die von der FPÖ erhobenen Anschuldigungen gehen in der Tat weit über die bisher berichteten Vorfälle hinaus. In 94 der insgesamt 117 Bezirkswahlbehörden habe man "Gesetzeswidrigkeiten" bei der Auszählung der Wahlkarten gegeben, "in Wien flächendeckend", behauptet der Jurist Rüdiger Schender. In 82 Bezirkswahlbehörden seien die Wahlkarten am Montag nach der Stichwahl schon vor dem Eintreffen der Wahlkommission "in einzubeziehende und nicht einzubeziehende" Wahlkarten vorsortiert worden, behauptet Strache. Davon seien 573.275 eingelangte Wahlkarten betroffen, "von ihnen wurden 31.814 als nichtig vorsortiert". In elf Bezirkswahlbehörden seien die Briefwahlkarten vor der Auszählung bereits geöffnet worden, in einigen Fällen sei der Wahlzettel herausgenommen worden. Vier Wahlbehörden hätten alle Wahlkarten schon vor Beginn der Sitzung ausgezählt, in sieben Behörden hätten "nicht dafür befugte Personen" die Auszählung vorgenommen.

Briefwahl im Fokus

FPÖ-Bundespräsidentschaftskandidat Norbert Hofer hält die Wahrscheinlichkeit, dass die Wahlanfechtung erfolgreich sein wird, für "exorbitant hoch". Die aufgezeigten Missstände dokumentierten einen "eklatanten Rechtsbruch", sagte er am Mittwoch.

Auch der Jurist und Ex-FPÖ-Justizminister Dieter Böhmdorfer zeigt sich optimistisch. "Der Verfassungsgerichtshof ist bei den Bestimmungen zur Verwahrung der Briefwahlkarten sehr streng", die gelisteten Fälle seien möglicherweise "nur die Spitze des Eisbergs".

Böhmdorfer und Schender berufen sich auf eine Judikatur des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) zur Möglichkeit der Wahlmanipulation bei Briefwahlkarten aus dem Jahr 2014. Damals entschied der VfGH über einen Streit rund um die Salzburger Gemeinderatswahlordnung. Würde das strenge Prozedere bei der Auszählung der Wahlkarten verletzt, so sei "jedenfalls die Möglichkeit von Missbräuchen gegeben" - und zwar "ohne dass es des Nachweises einer konkreten, das Wahlergebnis tatsächlich verändernden Manipulation" bedürfe. Schender: "Der VfGH legt Wert darauf, dass schon dem Anschein einer Manipulation entgegengetreten werden muss."

Der Wiener Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk schätzt die Chancen, dass die Stichwahl wiederholt werden muss, jedoch eher gering ein. "Eine Prognose zu stellen ist aber sehr schwierig. Widrigkeiten im Wahlverfahren müssen nicht nur nachgewiesen werden, sie müssen auch geeignet sein, das Wahlergebnis zu beeinflussen - und zwar so, dass es verändert wird", sagt Funk im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Es gehe bei den FPÖ-Vorwürfen "eher um formale Fragen, wie beispielsweise den Zeitpunkt der Sortierung der Wahlkarten". Dass etwa Personen zur Wahl zugelassen wurden, die das gesetzliche Wahlalter von 16 Jahren noch nicht erreicht hätten, habe die Wahlbehörde bereits eingestanden. Zentral für das Gelingen der Wahlanfechtung sei jedenfalls das Ausmaß der - nachzuweisenden - Widrigkeiten. "Würde damit in Summe die Stimmendifferenz des Stichwahlergebnisses erreicht, dann wäre der Wahlanfechtung jedenfalls stattzugeben", so Funk.

Ähnlich argumentiert der Verfassungsrechtler Heinz Mayer: "Die Anfechtung wäre nur dann erfolgreich, wenn die vorgefallenen Rechtswidrigkeiten an dem Wahlergebnis möglicherweise etwas ändern würden", sagt Mayer. "Die Vorwürfe, die ich kenne, stellen aber nur darauf ab, dass zu früh ausgezählt wurde. Das ist zwar rechtswidrig, ändert aber nichts am Wahlergebnis."

Bisher nur sechs Fälle bekannt

Bisher waren dem Innenministerium nur sechs Fälle bekannt, in denen es zu Verstößen gekommen ist. "In diesen Fällen haben die Wahlbeisitzer der FPÖ dem Ergebnis aber immer zugestimmt", sagt Robert Stein, Leiter der Wahlabteilung im Innenministerium. Über die vielen neu eingegangen Vorwürfe werde man sich nun einen genauen Überblick verschaffen. Dann wird die Bundeswahlbehörde voraussichtlich eine Stellungnahme an den Verfassungsgerichtshof dazu abgeben.

Beim Verfassungsgerichtshof will man noch vor der Angelobung Alexander Van der Bellens zum Bundespräsidenten am 8. Juli zu einer Entscheidung kommen. Garantieren könne man das allerdings nicht, sagt VfGH-Sprecher Christian Neuwirth.

Erfolgreiche Wahlanfechtungen hat es in Österreich bisher nicht oft gegeben: "Bei den Nationalratswahlen 1970 wurde in einem Teil von Wien die Wahl nachgeholt. Dabei hat sich eine Verschiebung von einem Mandat von der ÖVP zur FPÖ ergeben", sagt der ehemalige ÖVP-Klubdirektor und Präsident des Instituts für Parlamentarismus, Werner Zögernitz. In einigen wenigen Sprengeln in Tirol und Burgenland neu gewählt wurde auch nach einer erfolgreichen Anfechtung der Nationalratswahl 1994. So hatte unter anderem ein in Wien Wahlberechtigter seine Stimme in Tirol abgeben. Wie 1970 ging auch nach der Wahlanfechtung 1994 ein Mandat von der ÖVP an die FPÖ.

Zögernitz zeigt sich, was den Erfolg der Anfechtung betrifft, ebenfalls skeptisch: "Es dürfte eine sehr umfassende Anfechtung sein", meint er. "30.000 Stimmen aufzuholen, ist aber schon viel." Für gewöhnlich seien die Wahlbehörden verlässlich. Es habe bisher selten Beanstandungen und nie echte Probleme gegeben, sagt er. "Aber mit so knappen Mehrheiten versucht man, jeden Knochen abzunagen. Das versteh’ ich auch."