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Frage nach Gerechtigkeit neu stellen

Von Walter Hämmerle

Politik

Gegen eine "undifferenzierte Opfermentalität", die das Land ergriffen habe, wandte sich am Donnerstag vor dem Hintergrund der heftigen politischen Auseinandersetzung über die Pensionsreformpläne der Regierung Bundeskanzler und ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel anlässlich seiner "Rede zur Lage der Nation" in der Wiener Hofburg. Fast zur selben Zeit skizzierte auch der SPÖ-Vorsitzende Alfred Gusenbauer die Vorstellungen seiner Partei für die Zukunft des Landes.


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"Diejenigen, die heute Schutz und Hilfe brauchen, sind nicht mehr dieselben wir vor fünfzig Jahren". Aus diesem Grund müssten die "Fragen nach einer neuen sozialen Gerechtigkeit mit aller Radikalität, das heißt an die Wurzel gehend, gestellt werden", plädierte Schüssel für die Abkehr von einem überkommenen Besitzstanddenken unter dem Deckmantel des Althergebrachten.

Gerade am Beispiel der derzeitigen Pensionsreform-Diskussion erweise sich die Frage "Was ist gerecht?" als besonders spannend. Für Schüssel bedeutet dies etwa, dass es zu "keinerlei Ausnahmeregelungen für Politiker" kommen dürfe. Gerecht sei auch das Ende aller Unterschiede zwischen den einzelnen Berufsgruppen, also die Harmonisierung der Pensionssysteme, erklärte Schüssel.

In schweren Zeiten wie diesen sei vor allem "Kurssetzen und Kurshalten gefragt". Er sei überzeugt, dass die Bevölkerung "bei weitem reformfreudiger ist, als uns dies suggeriert wird", so Schüssel. Nun gehe es darum, "rechtzeitig, nachhaltig und sozial gerecht" die notwendigen Reformen umzusetzen.

Allerdings heiße gute Politik auch, gut zu informieren. "Hier haben wir ein Defizit", gestand der Kanzler unumwunden ein. Und den ob dieser offenen Aussage aufkommenden Applaus quittierte er mit einem "Botschaft verstanden".

Auch an die Sozialpartner sandte Schüssel deutliche Zeichen: Er sei der Letzte, der diese an den Rand drängen wolle. Vielmehr seien diese unersetzbar, wenn es um Innovationen und neue Ideen gehe. Trotzdem entscheide in einer "Demokratie das Volk durch seine gewählten Vertreter im Parlament", erteilte Schüssel allen Bemühungen, die Sozialpartnerschaft in die Rolle einer Nebenregierung zu drängen, eine deutliche Absage.

Für die Zukunft gehe es nun darum, die Versorgungs- durch eine Verantwortungsmentalität der Bürger zu ersetzen. Solidarität sei dabei "keine Einbahnstraße", so der Kanzler, der für eine "wachsame, kritische Bürgergesellschaft" plädierte.

SPÖ will "Dialog mit Österreich"

Ein "autokratisches Politikverständnis", das in der Demokratie nichts zu suchen habe, hat am Donnerstag SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer in seiner knapp einstündigen Rede in einer Fachhochschule der Bundesregierung und insbesondere der ÖVP vorgeworfen. Die Menschen würden nicht als Bürger, sondern als Untertanen betrachtet.

Die Politik sei gekennzeichnet von "Verachtung" gegenüber allen Kritikern, gegenüber demokratischen Gepflogenheiten und gegenüber der betroffenen Bevölkerung, sagte Gusenbauer in der Veranstaltung, die bewusst als Kontrapunkt zur -Rede zur Lage der Nation von Bundeskanzler Schüssel gesetzt wurde. Die Sozialdemokratie setze im Gegensatz dazu auf Veränderungen gemeinsam mit den Betroffenen und auf einen breiten Konsens.

In diesem Sinne wolle sie einen "Dialog mit Österreich" führen. Das setze voraus, dass man auch kritische Stellungnahmen und alternative Ansichten aufnehme.

Die SPÖ wolle die politische Auseinandersetzung wieder zu einem "konstruktiven Wettbewerb der Ideen" machen. Auch wenn es unwahrscheinlich sei, dass sich die schwarzblaue Bundesregierung von ihrem "autokratischen Politikverständnis" verabschiede, werde die SPÖ den Dialog auf allen Ebenen führen.