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Vor 50 Jahren endete in Nürnberg der OKW-Prozeß (OKW: Oberkommando der Wehrmacht). Auf bis dahin einmalige Weise nahm das Verfahren Soldaten in die Gewissenspflicht und forderte die Richter | heraus, eine bis heute umstrittene Grenze zwischen Kriegsgreuel und militärischen Notwendigkeiten zu ziehen.
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Die Urteile waren meist streng: Wegen ihrer Verbrechen gegen den Frieden und die Menschlichkeit im Zweiten Weltkrieg wurden elf Generäle und Offiziere der deutschen Wehrmacht am 28. Oktober 1948
zu Freiheitsstrafen von drei Jahren bis zu lebenslanger Haft verurteilt, zwei Angeklagte kamen wieder auf freien Fuß.
Die Verurteilten hatten sich nach Ansicht des Gerichts zahlreicher Verbrechen wie der Mißhandlung, Folterung und Ermordung zigtausender sowjetischer Kriegsgefangener schuldig gemacht. "Kein Volk,
keine Armee und kein Heerführer in irgendeiner zivilisierten und unzivilisierten Epoche trägt eine so schwere Schuldlast wie das Deutschland Hitlers, seine Armee und seine Führer", erklärte das
Gericht. Allerdings mußte die Täter- oder mindestens Mitwisserschaft einzeln nachgewiesen werden.
So trug der Befehlshaber der 18. Armee, Feldmarschall Georg von Küchler, laut Gericht neben der Duldung rechtswidriger Hinrichtungen von politsch Unliebsamen und Flüchtlingen die Verantwortung für
zahlreiche Zivilmorde, unter anderem an 230 geistig und körperlich kranken Frauen in einem russischen Kloster. Küchler erhielt wie der Kommandant des 30. Armeekorps, Generaloberst Hans von Salmuth,
20 Jahre Haft. Salmuth hatten unter anderem befohlen, für jeden bei Partisanenanschlägen Gefallenen zehn Geiseln aufzuhängen.
Auch Schreibtisch-Täter entgingen dem Gericht nicht: Der Chef des Allgemeinen Wehrmachtsamtes im OKW, General Hermann Reinecke, hatte grundlegende Richtlinien für das Kriegsgefangenenwesen erlassen
und dabei dem Sicherheitsdienst erlaubt, unter den Gefangenen politisch-rassisch unerwünschte Personen zu selektieren und zu töten. Die Quittung: Lebenslange Haft.
Spätestens seit Nürnberg sei klar, "bei verbrecherischen Befehlen kann es keinen Zwang zum Gehorsam geben", erklärt der deutsche Historiker und Jurist Manfred Messerschmidt zum Jahrestag. Sein
Kollege Jörg Friedrich betont dagegen, daß jede Armee auch heute noch auf dem unbedingten Gehorsam der Soldaten beruhe. "Ohne die Unverwürflichkeit des militärischen Befehls würden sich Kämpfe in
juristische Seminare auflösen", sagt er. Gegen Vorwürfe einer "Siegerjustiz" nehmen beide Experten das Verfahren einstimmig als "fairen Prozeß" in Schutz.
"Das Verhalten der Angeklagten im Prozeß war absolut erbärmlich", urteilt Messerschmidt. Statt sich zu ihrer Verantwortung zu bekennen und Reue zu zeigten, hätten sie so getan, als ob sie von den
Kriegsgreueln nichts gewußt hätten. Außerdem hätten sie sich billig darauf berufen, daß sie die Befehle weitergeben mußten. Widerstand wäre möglich gewesen, unterstreicht Friedrich. "Die Angeklagten
haben eigentlich gegen jede Art von Hitler-Befehlen zur Kriegsführung opponiert, aber so gut wie gar nicht gegen jene unmenschlichen Charakters." Je höher man in der Befehlskette gestanden sei, desto
einfacher wäre es gewesen, Befehle zu verweigern, abzuändern oder zu unterlassen, betont der Historiker. Dennoch hat Friedrich Zweifel an den juristischen Grundlagen des OKW-Prozesses. Die Offiziere
seien auf einer Rechtsbasis angeklagt worden, "an die sich niemand gehalten hat und sich auch nicht halten kann". Auch die Alliierten hätten den "unbedingten Gehorsam" gekannt.
Die Bundesrepublik Deutschland hat die Urteile nie anerkannt, aber dennoch Konsequenzen aus den Erfahrungen der Verbrechen der Wehrmacht gezogen. Mit dem Konzept der "Inneren Führung" wurde die
Truppe auf Verfassung und Völkerrecht eingeschworen. Kein Befehl darf gegen die Menschenwürde verstoßen.
Für die Angeklagten bedeuteten die Urteile keine lange Haft. Mitte der fünfziger Jahre waren alle wieder frei.