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Fragile Finanzwelt

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Vor einem Jahr blickte Europa neidisch auf Länder wie die Türkei, Indonesien, Indien, Brasilien, Russland. Während Europa dahindümpelte, ging in diesen Ländern richtig die Post ab. Nun blicken Europa, aber auch die USA erneut auf diese Länder - aber angstvoll. Es hat eine Kapitalflucht eingesetzt, die alle in Unruhe versetzt. In der Türkei gibt es Krisensitzungen in der Notenbank, weil der Verfall der türkischen Lira bedrohlich geworden ist. Argentinien hat die Dollar-Käufe beschränkt, auch andere Schwellenländer überlegen Kapitalrestriktionen.

Die aktuelle Entwicklung ist nicht ungefährlich, denn der Verfall der Landeswährungen großer Länder sorgt auch für Verluste in den Bilanzen der Exportindustrie - und der Banken.

Und es darf getrost angenommen werden, dass auch westliche Banken mit großen Schocks noch nicht sehr gut umgehen können. Was wäre also im Ernstfall zu tun? Sie nochmals retten?

Das Geld, das diese Länder an der Schwelle zur "Ersten Welt" nun fluchtartig verlässt, hat in der Krise fluchtartig die Industriestaaten verlassen. Nun kommen viele drauf, dass auch dort "Blasen" entstanden sind, die zu Preisrückgängen führen werden. Rette sich, wer kann, raus aus den Märkten, heißt die Devise.

Erstaunlich daran ist, dass die Finanzindustrie im weitesten Sinn (nicht nur Banken) aus der von ihr 2007 ausgelösten Krise wenig gelernt hat. Sie borgte sich in Europa und den USA billiges Geld aus und ging damit in Hochzins-Länder. Nun kommt der kapitalkräftige Zug der Lemminge drauf, dass dies nicht nachhaltig ist - und flüchtet.

Blöd nur, dass nicht sie es sind, die über die Klippe springen, sondern die jeweilige Bevölkerung. Als Reaktion auf die Kapitalflucht werden in diesen Ländern die Zinsen steigen - was wiederum dort die Kredite verteuert und das ohnehin schrumpfende Wachstum abwürgt. Millionen Menschen werden in die Armut geschickt werden, ohne zu wissen warum und auch ohne vorher vom Boom profitiert zu haben.

Was sich derzeit abspielt, ist ein erneutes Beispiel, dass die globale Finanzwirtschaft der größte Hemmschuh für eine sozial ausgewogenere Welt ist. Wenn die EU-Gremien in den kommenden Wochen die Bankenunion besprechen, mögen sie vorher einen tiefen Blick auf die bisher beschützten Finanzmärkte werfen. Und endlich handeln.