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Fragile Staatlichkeit in Westafrika

Von Gerald Hainzl

Gastkommentare
Gerald Hainzl forscht am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement an der Landesverteidigungsakademie Wien zu Konflikten in Afrika.
© BMLV / HBF / Carina Karlovits

Terrorismus, Corona und Klimawandel machen der Region zu schaffen. Europa sollte sich hier noch stärker engagieren.


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Terroristische Anschläge und gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Gruppen dürften in der Region Liptako-Gourma (Mali, Niger und Burkina Faso) auch in den kommenden Monaten auf dem hohen Niveau des vergangenen Jahres bleiben. In Nigeria ist besonders der Norden des Landes von Gewalt betroffen, wobei sich die Zone der Instabilität in den Nordwesten ausdehnen wird.

Der Plan der malischen Übergangsregierung, mit terroristischen Gruppen zu verhandeln, könnte die Beziehungen zu internationalen Akteuren belasten. Offizielle Kontakte mit Jama’at Nasr al-Islam wal Muslimin, dem malischen Zweig der Al-Kaida, sollen mögliche Friedensverhandlungen ausloten. Die Hoffnung auf einen Rückgang der Gewalt dürfte sich allerdings vorerst nicht erfüllen. Die Jama’at Nasr al-Islam wal Muslimin hatte sich aus mehreren Gruppen gebildet, und Verhandlungen könnten zu erneuten Aufsplitterungen führen. Einzelne Subgruppen könnten dann versuchen, durch besondere Gewalt und Brutalität auf sich aufmerksam zu machen, um sich entweder von Verhandlungen zu distanzieren oder sich selbst als Verhandlungspartner in Stellung zu bringen. In den Nachbarstaaten gibt es ebenfalls Tendenzen, Verhandlungslösungen zu suchen.

Das Armed Conflict Location & Event Data Project listete für die erste Jahreshälfte 2020 mehr als 1.000 gewaltsame Zwischenfälle. Mehr als 46 Prozent davon fanden in Mali statt, 35 Prozent in Burkina Faso und 17 Prozent in Niger. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie werden alle Staaten treffen. Dies könnte dazu führen, dass terroristische Organisationen versuchen, aus dieser fragilen Situation Kapital zu schlagen. Das können sowohl lokale Gruppen ohne Affiliationen sein, aber auch solche, die sich mit Al-Kaida oder dem sogenannten Islamischen Staat verbünden. Die Gefahr, dass terroristische Gruppen ihren Aktionsradius Richtung südliche Nachbarstaaten ausweiten könnten, bleibt weiterhin bestehen.

Die Anrainerstaaten des Tschadsees (Nigeria, Kamerun, Tschad, Niger) werden auch künftig unter der Austrocknung des Sees leiden. Etwa ein Viertel der elf Millionen dort lebenden Menschen musste bereits vor den sich verändernden Lebensbedingungen und der auch daraus resultierenden Gewalt fliehen. Sich verändernde ökologischen Rahmenbedingungen gelten als Treiber für gewaltsame lokale Konflikte.

Da die westafrikanischen Binnenstaaten auch in den kommenden Jahren fragil bleiben und die jeweiligen Sicherheitskräfte nicht in der Lage sein werden, weite Teile ihrer Länder zu kontrollieren, sollte aus europäischem Eigeninteresse das Niveau der derzeitigen Unterstützung beibehalten oder sogar erhöht werden. Je mehr sich die Region stabilisiert, desto mehr Einfluss wird dies auf die Reduktion von Terrorismus und Migration haben. Ein politisches Engagement für Corona-Impfungen in Westafrika und auf dem gesamten Kontinent könnte darüber hinaus das Profil Europas in Afrika schärfen.

Eine Langfassung des vorliegenden Textes finden Sie in der "Sicherheitspolitischen Jahresvorschau 2021".