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Präsidentenwahlen im Schatten ethnischer Konflikte.
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Bischkek. Kirgistan tanzt aus der Reihe: Während die umliegenden Staaten Zentralasiens autoritär bis despotisch regiert werden, erprobt man in dem schönen, aber bitterarmen Land an der Grenze zu China die Demokratie. Am Sonntag finden Präsidentenwahlen statt, und es ist angesichts der Verhältnisse in den Nachbarländern extrem ungewöhnlich, dass Amtsinhaberin Rosa Otunbajewa freiwillig auf ihre Macht verzichtet und nicht mehr zur Wahl antritt. Schon zuvor hatte die 61-Jährige, die sowohl an der "Tulpenrevolution" 2005 wie an dem Aufstand gegen Ex-Präsident Kurmanbek Bakijew im April 2010 beteiligt war, einer Einschränkung ihrer Kompetenzen zugestimmt. Nach den Erfahrungen mit Bakijew, der noch deutlich autoritärer als sein Vorgänger regierte und den Opiumhandel aus Afghanistan kontrolliert haben soll, ging man auf Nummer sicher: Das Parlament wurde aufgewertet, die Amtszeit des Präsidenten auf eine einzige beschränkt. Vor einem Jahr fanden Parlamentswahlen statt, mit den ersten freien Präsidentenwahlen soll in Bischkek nach dem Umbruch von 2010 die demokratische Normalität Einzug halten.
Soll. Denn dass die etwa 20 Bewerber um das Amt nicht nur eine Kaution und ausreichend Unterschriften vorweisen, sondern auch eine im TV übertragene Sprachprüfung bestehen mussten, zeigt, dass von Normalität in Kirgistan seit den ethnischen Unruhen im Juni vorigen Jahres keine Rede sein kann. Damals war ein kirgisischer Mob mordend und plündernd durch die Usbekenviertel von Osch und Dschalalabat im Süden des Landes gezogen. Man spricht inoffiziell von rund 2000 Todesopfern, Hunderttausende sind geflohen. Die meisten Täter, urteilen Beobachter, wurden nie belangt.
Dafür rollte wegen der Vorfälle eine Prozesswelle gegen Usbeken an. Treibende Kraft sind dabei lokale, nationalistische Eliten, Profiteure des Bakijew-Systems, die im Süden des Landes die Macht ausüben. Seit den Parlamentswahlen im Vorjahr stellen sie die stimmstärkste Fraktion im Parlament und sind an der Regierung beteiligt. Auch ihr Chef, Kamtschibek Taschijew, stellt sich am Sonntag der Wahl. Schafft er den Sprung ins Amt, will er mehr Vollmachten als Präsident.