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Kuhmilchallergie ist etwas anderes als Laktoseintoleranz und potenziell viel gefährlicher.
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Wien. "No milk today" lautet nicht nur die Liebeskummer-Botschaft der englischen Band Herman’s Hermits aus den 1960er Jahren. Es ist auch die tägliche Devise aller, die Milch nicht vertragen. Den Ursachen der Kuhmilchallergie, unter der zwei bis drei Prozent der Kinder in Europa leiden, seltener Erwachsene, ist ein Wisserschafterteam um Erika Jensen-Jarolim am Messerli-Forschungsinstitut der Universität für Veterinärmedizin, der Medizin-Universität Wien und der Universität Wien auf der Spur. Gerade hat es dazu im Magazin "Plos one" eine Studie publiziert, die einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen Entschlüsselung allergischer Reaktionen liefert.
Milchallergie und Laktose-Intoleranz (über diese berichtete die "Wiener Zeitung" erst am 9. August ausführlich) sind klar voneinander zu unterscheiden. Bei der Laktose-Intoleranz fehlt das Enzym Laktase, darum wird Milchzucker schlecht verdaut. Die Kuhmilchallergie ist potenziell viel gefährlicher, denn dabei wendet sich das körpereigene Immunsystem mit IgE Antikörpern gegen ein bestimmtes Milchprotein, das beta-Laktoglobulin, das zur Familie der Lipokaline gehört. Diese Lipokaline besitzen molekulare Taschen, in denen sie Eisen-Ionen transportieren - vorausgesetzt, dass das Eisen mittels sogenannter Siderophore gebunden werden konnte.
Der Schlüssel ist Eisenmangel
Erstautorin Franziska Roth-Walter und ihre KollegInnen zeigten nun, dass ein "leeres" Milchprotein, also ein Protein ohne Eisen und Siderophore, die Aktivierung von Th2-Lymphozyten unterstützt. In der Folge wird die Produktion von IgE Antikörpern gegen das Milchprotein angekurbelt, die Betroffenen werden sensibilisiert und können gegen Milch allergisch reagieren. "Die Kenntnis der molekularen Strukturen von Allergenen hat ganz erheblich zu dieser praktisch relevanten Erkenntnis über Milchallergie beigetragen", erklärt die Wissenschafterin.
Die Allergie kann sich in Mund- und Schleimhautschwellungen äußern, in Durchfällen oder in Verschlechterungen einer Neurodermitis. Im schlimmsten Fall, so Erika Jensen-Jarolim im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", kann eine Anaphylaxie in Form eines allergischen Schocks mit tödlichem Kreislaufversagen eintreten.
Jensen-Jarolim, Leiterin des Instituts für Pathophysiologie der
MedUni Wien, vermutet, dass die mangelnde Beladung von Proteinen mit Eisen allgemein eine Schlüsselrolle beim Auslösen von Allergien spielt, und sie will in diese Richtung weiterforschen. Ihr Team hat erst Anfang Juni in einer Studie im "Journal of Biological Chemistry" aufgezeigt, dass der allergische Effekt des wesentlichen Birkenpollenallergens "Bet v 1" nur dann auftritt, wenn sich in seinen Molekulartaschen kein Eisen befindet. Im Fall der Birkenpollen deutet manches darauf hin, dass schlechtere Umweltbedingungen dazu führen, dass Birkenproteine weniger mit Eisen beladen werden und damit die Birkenpollen aggressiver werden. Es gibt auch schon Hinweise darauf, dass Schimmelpilz-Allergien mit dem Eisenmangel-Mechanismus zusammenhängen.
Für Jensen-Jarolim ist nun die Frage spannend, wie weit die modernen Zucht- und Fütterungsmethoden der Landwirtschaft - etwa das Heranzüchten von "Turbokühen", die besonders viel Milch oder aber viel Fleisch produzieren sollen - die Eisen-Beladung der Milchproteine beeinflussen: "Eine der brennendsten Fragen, die wir beantworten möchten, lautet: Warum sind diese Milchproteine mehr oder weniger mit Eisen beladen? Dabei könnte die Haltung und Fütterung der Kühe eine Rolle spielen. Ob biologisch oder konventionell produzierte Milch mehr oder weniger Eisen-beladenes Protein enthält, muss noch untersucht werden. Lipokaline gibt es bei allen Säugetieren. Wir gehen wir davon aus, dass wir unsere Erkenntnisse auch auf die Milch anderer Tierarten übertragen können."
Ob, wie manche meinen, das Faktum, dass bei 80 Prozent der heutigen Kühe die Hörner entfernt wurden, die Milchqualität beeinflusst, kann Jensen-Jarolim aus wissenschaftlichen Studien nicht bestätigen. Sie meint aber, dass bei diesen Kühen der Stresspegel wohl höher sei und dass Lipokaline mit Stresshormonen interagieren können. Auch in diese Richtung wolle man am Messerli-Institut weiterforschen.