Der 62-jährige Ex-Premier führt nach seinem Sieg über Alain Juppé die Konservativen in den Präsidentschaftswahlkampf - als Überraschungskandidat erinnert er an Präsident François Hollande. Auf ihn richten sich nun alle Augen.
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Paris. Am Abend nach seiner siegreichen Schlacht trägt François Fillon ein paar blutige Kratzer an der Nase. "Es ist nicht Alain Juppé, der mich verletzt hat", versichert der sonst so ernste Politiker mit einem Anflug von Humor. "Sondern die Fotografen." Allzu grob rangen diese um Bilder vom frisch gekrönten Kandidaten der Republikaner für die französischen Präsidentschaftswahlen im nächsten Frühjahr.
Es ist ein Überraschungscoup, die heimische Presse schreibt gar von einem "stillen Putsch": Noch vor drei Wochen hätte kaum jemand auf den Triumph des 62-jährigen Konservativen gewettet; alle sahen ein Duell zwischen Ex-Premierminister Alain Juppé und Ex-Präsident Nicolas Sarkozy voraus. Doch nachdem Fillon beide bereits beim ersten Durchgang vor einer Woche weit hinter sich ließ, setzte er sich am Sonntag im Duell gegen den 71-jährigen Juppé deutlich mit 66,5 Prozent durch. Erneut gaben mehr als 4,3 Millionen Wähler ihre Stimme ab.
Trotz dieses überwältigenden Vertrauensbeweises blieb sich der nüchtern-introvertierte Fillon in seiner ersten Reaktion treu. "Es ist meine Pflicht, die Unbeweglichkeit und die Demagogie zu besiegen", sagte er schlicht.
In einen Siegesrausch gerieten derweil andere, draußen vor seiner Paris Wahlkampfzentrale, aber auch im westfranzösischen Städtchen Sablé-sur-Sarthe. Dort war Fillon lange Bürgermeister und hat 95 Prozent der Stimmen geholt. Manche feierten ihn, als sei er schon am Ziel. "François, Präsident! François, Präsident...", skandierten die Menschen - und keiner dachte dabei an den aktuellen Präsidenten, der doch demselben Vornamen trägt.
François Fillon und François Hollande kommen aus unterschiedlichen politischen Lagern und doch gibt es einige Parallelen. Beide wurden lange unterschätzt und standen im Schatten von charismatischeren Kollegen, verschwanden zeitweise in der Versenkung, wo sie aber beharrlich an ihrem Netzwerk arbeiteten - bis sie zum richtigen Zeitpunkt auf die Bildfläche zurückkamen. Auch Hollande galt noch ein Jahr vor seiner Wahl 2012 als aussichtsloser "Monsieur drei Prozent". Doch dann profitierte er vom frühzeitigen Ausscheiden des ehemaligen IWF-Chefs Dominique Strauss-Kahn aus dem Rennen um den Élysée-Palast, der schon als fast gesetzt galt, bevor er über einen Sex-Skandal stolperte. Auch nutzte ihm der Hass vieler Menschen auf Sarkozy - ebenso wie jetzt Fillon. Nicht zuletzt prägen beide Männer die französische Politik seit Jahrzehnten: Hollande als langjähriger Abgeordneter und Sozialisten-Chef, Fillon ebenfalls als Parlamentarier, Minister verschiedener Ressorts und zuletzt als Regierungschef unter Sarkozy von 2007 bis 2012. Seine Beliebtheitswerte übertrafen stets jene des hyperaktiven und überheblich auftretenden Präsidenten - und doch konnte Fillon im Anschluss kein Kapital daraus ziehen. Er ließ sich in einer offensichtlich getürkten Kampfabstimmung vom damaligen Sarkozy-Vertrauten Jean-François Copé um den Parteivorsitz bringen und tauchte ab - ohne aufzugeben. Drei Jahre lang habe er in einer "Tour de France" im ganzen Land den Menschen den Puls gefühlt, sagt Fillon heute.
Um sie von ihrem Frust zu befreien und Frankreichs Wirtschaft endlich wieder aufzurichten, schlägt er einen "liberalen Schock" vor, der in seiner Radikalität erstaunt und dessen Umsetzbarkeit auch sein moderaterer Rivale Juppé angezweifelt hatte: Die öffentlichen Ausgaben will er um 110 Milliarden Euro senken, eine halbe Million Beamten-Stellen einsparen, das Renteneintrittsalter bis 2022 von 62 auf 65 anheben und die 35-Stunden-Woche abschaffen.
Dieses Reform-Programm kombiniert der "französischer Thatcher" mit autoritärem und seriösem Auftreten und einer wertkonservativen Haltung. Er verspricht eine familienfreundliche Politik und will zwar die von Hollande eingeführte Homo-Ehe nicht rückgängig machen, weil man Menschen nicht "entheiraten" könne - aber wohl die Erlaubnis für gleichgeschlechtliche Paare, Kinder zu adoptieren. Das brachte dem Vater von fünf Kindern, der seit 36 Jahren mit der Waliserin Penelope Clarke verheiratet ist, die Unterstützung katholischer und rechtskonservativer Kreise ein, während Juppé eher als Kandidat der Mitte galt. Auch Sarkozys Anhänger schlossen sich nach dessen Ausscheiden Fillon an, der sich ebenfalls für eine Begrenzung des Familiennachzugs und gegen eine multikulturelle Gesellschaft aussprach.
Dieser rechte Parteiflügel hat wohl einen wichtigen Anteil an dem deutlichen Endergebnis. Am Abend seines Sieges bedachte Fillon den Ex-Präsidenten, der ihn einst als "Versager" tituliert hatte, mit einem "Wort der Freundschaft, Wertschätzung und Respekt". Auch dem unterlegenen Alain Juppé gab er einen zwar nicht herzlichen, aber achtungsvollen Händedruck. "Kein einziger Wähler darf sich erniedrigt oder an den Rand gedrängt fühlen", erklärte Fillon. "Ich strecke allen, die unserem Land dienen wollen, die Hand aus. Meinen Erfolg teile ich."
Sympathien für Russland
Das muss er auch - denn hinter ihm liegt nur die erste Etappe eines langen Weges. Die Chancen stehen zwar gut, im Mai 2017 gegen einen starken, aber nicht mehrheitsfähigen rechtsradikalen Front National und eine zersplitterte Linke zu siegen. Aber er braucht die ganze Partei und möglicherweise auch den Chef der Zentrumspartei MoDem François Bayrou, der auf Juppé gesetzt hatte, hinter sich, um gegen die Angriffe der Gegner gewappnet zu sein.
Der Front National holte als Erster aus und nannte Fillon den "Kandidaten der zügellosen Globalisierung" - für die extreme Rechte ist er ein schwieriger Gegner, da auch er sich auf die Forderung nach einem autoritären Staat und einem souveränen Frankreich im Rahmen eines "Europas der Nationen" stützt. Selbst die Sympathie für Russland teilt Fillon mit Marine Le Pen. Ihre Kritik konzentriert sich daher auf sein Wirtschaftsprogramm - ein "sozialer Kahlschlag" drohe, warnte die Rechtspopulistin.
Auch Ex-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, der soeben die eigene Kandidatur mit seiner jungen Partei "En marche!" angekündigt hat und eine Überwindung der ideologischen Grenzen, aber ähnlich weitgehende Reformen verspricht wie Fillon, bescheinigte ihm eine "wirtschaftliche Vision der 60er Jahre".
Die Sozialistische Partei schloss sich an, indem sie sein "ultraliberales" Programm und eine "zutiefst archaische Gesellschaftssicht" kritisierte. Zugleich scheint sie zu stark mit sich selbst beschäftigt, um sich auf ihren Hauptgegner konzentrieren zu können. Alle Augen richteten sich gestern auf ein gemeinsames Mittagessen von Präsident Hollande und Premierminister Manuel Valls - dieser hatte am Wochenende in einem Interview erstmals angedeutet, dass er gegebenenfalls zu einer eigenen Kandidatur bereit sei. "Angesichts der Verunsicherung, des Zweifels, der Enttäuschung und der Vorstellung, dass die Linke keine Chance hat, will ich diesen Mechanismus durchbrechen, der uns in die Niederlage führen wird", wurde der 54-jährige Premier sehr deutlich. Er setzt Hollande damit zusätzlichem Druck aus, der bis zum 15. Dezember erklären muss, ob er bei den Vorwahlen der Sozialisten Ende Januar antritt. Aus seinem Umfeld heißt es, er wolle nicht aufgeben, so umstritten er selbst im eigenen Lager ist. Laut Umfragen scheint der Präsident chancenlos. Doch diese können sich täuschen - dafür erscheint sein Namensvetter Fillon als das beste Beispiel.