Eigentlich wollte der französische Präsident die Einflussnahme der Grande Nation auf Afrika endgültig beenden, doch nun findet er sich mitten in einem unkalkulierbaren Krieg wieder.
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Paris/Bamako. "Francafrique, c’est fini", diese Parole hatte bereits Nicolas Sarkozy während seiner Präsidentschaft ausgegeben. Der französische Einfluss auf die ehemaligen Kolonien in Afrika, der öfter über informelle denn offizielle Netzwerke lief, sollte Jahrzehnte nach deren Entlassung in der Unabhängigkeit endgültig ein Ende haben. Frankreich sollte Frankreich sein und Afrika Afrika.
Das Ende von "Francafrique" hat sich auch der amtierende Präsident auf die Fahnen geschrieben, sogar in seinem Wahlprogramm hat es François Hollande ausdrücklich festgehalten. Und der Sozialist hat in den ersten Monaten seiner Amtszeit auch Taten folgen lassen. Unter Hollande wurden die letzten Reste der "cellule africaine" - jenes berühmt-berüchtigten Beraterstabes des Präsidenten, der in der Afrikapolitik gegenüber dem französischen Außenministerium das letzte Wort hatte - endgültig aus dem Élysée-Palast verbannt.
Wenige Monate nach diesem Schritt befindet sich Frankreich unter Hollande jedoch mitten in einer militärischen Auseinandersetzung auf afrikanischem Boden, deren tatsächliche Dimensionen sich derzeit noch nicht einmal abschätzen lassen. Seit französische Truppen am Freitag ihre Offensive gegen die Islamisten im Norden von Mali eröffnet haben, flogen Mirage-Kampfbomber dutzende Einsätze gegen Stellungen der Rebellen, Spezialkommandos, die einen beträchtlichen Teil der derzeit 550 französischen Soldaten im Land ausmachen, führten Operationen tief im Feindesland durch. Mehr als 60 islamistische Rebellen, aber auch ein französischer Hubschrauber-Pilot und elf Soldaten der malischen Armee, die gemeinsam mit den Franzosen kämpft, sind im Zuge der viertägigen Gefechte bereits ums Leben gekommen.
Druck auf Ecowas
Doch was treibt Hollande, der eigentlich die Finger von Afrika lassen wollte, bereits vor der schon beschlossenen Entsendung einer internationalen und unter afrikanischer Führung stehenden Mali-Eingreiftruppe in einen unkalkulierbaren Krieg? Für Hollande dürfte es vor allem die Wahl eines aus seiner Sicht nach geringeren Übels sein. Seit die Islamistengruppe Ansar Dine, die anfangs noch mit den für einen eigenen Staat kämpfenden Tuareg-Rebellen verbündet war, den Norden Malis unter ihrer Kontrolle hält, geht in den westlichen Staaten die Angst um, dass sich die Region zu einem Aufmarschgebiet internationaler Jihadisten entwickeln könnte. Experten zufolge befinden sich bereits rund 6000 gut ausgebildete Kämpfer in den Islamisten-Hochburgen, die dank der vermuteten engen Kontakte zur Al-Kaida auch über Expertise bei der Planung und Durchführung von terroristischen Angriffen verfügen. Der Vorstoß von Ansar-Dine-Kämpfern in Richtung der malischen Hauptstadt Bamako in der vergangenen Woche dürfte für die Franzosen dann nur den letzten Ausschlag für die militärische Intervention gegeben haben. "Wir mussten die Offensive der Rebellen stoppen, andernfalls wäre ganz Mali in ihre Hände gefallen", sagt der französische Außenminister Laurent Fabius. "Und das hätte nicht nur für ganz Afrika eine Gefahr bedeutet, sondern auch für Europa."
Mit seiner Entscheidung für die Operation "Serval" setzt Hollande zudem die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas unter Druck. Der Staatenbund hat zwar bereits vor einiger Zeit die Entsendung von 3300 Soldaten im Rahmen eines UN-Mandats beschlossen, sich dann aber über die Finanzierung und die Aufteilung der Truppenkontingente zerstritten. Nun sollen sich bereits am Samstag die Ecowas-Staatschefs in der Elfenbeinküste treffen, um die Einzelheiten zu finalisieren.
Der Zeitpunkt des Eingreifens scheint für die Franzosen zudem aus militärischer Sicht günstig, denn die sich im Vormarsch befindlichen Islamisten-Verbände geben derzeit ein klar auszumachendes Ziel ab. Wie wichtig das ist, haben die Franzosen in Afghanistan lernen müssen. Bilder von verwundeten Frauen und Kindern sowie die stetig steigende Zahl an zivilen Todesopfern hatten in Frankreich schnell jede Begeisterung für den Einsatz am Hindukusch schwinden lassen. Das Afghanistan-Abenteuer wurde in der Folge früher beendet als geplant, erst vor kurzem wurden die letzten französischen Kampftruppen heimbeordert.
Angst vor Irak-Szenario
Bei seiner Mali-Operation genießt Hollande, der in seinen ersten Amtsmonaten viel eher als Zauderer denn als entschlossener Stratege erschien, aber im Augenblick noch breiten Rückhalt. Angesichts des von der Ansar Dine errichteten Schreckensregimes, das auch von strafweisen Amputationen und öffentlichen Steinigungen nicht zurückschreckt, halten viele Franzosen den erneuten Einsatz von französischen Truppen in Afrika für gerecht. Und auch die Zeitungen stärken Hollande den Rücken: Von einer "verständlichen Entscheidung" schrieb "Le Monde", "Dernières Nouvelles d’Alsace" bezeichnete die Intervention als legitim und die linke "Libération" spricht bereits vom "Wendepunkt in der Amtszeit Hollandes".
Der Preis, den der Sozialist dafür bezahlen muss, könnte allerdings hoch sein. Denn die Operation "Serval" hat nicht nur das Leben zahlreicher französischer Geiseln in Gefahr gebracht, die die mit der Ansar Dine verbündete Al-Kaida im Islamischen Maghreb (AQIM) in den vergangenen Jahren genommen hat, sondern auch das Risiko terroristischer Vergeltungsanschläge in Frankreich erhöht. Und auch ob die Ansar Dine nicht ein viel stärkerer Gegner sein könnte als vielleicht ursprünglich angenommen, scheint derzeit alles andere als klar. So haben die Islamisten im Zuge einer Gegenoffensive am Montag laut dem französischen Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian die Stadt Diabaly eingenommen. "Die Franzosen haben die Tore zur Hölle geöffnet", sagte Rebellensprecher Oumar Ould Hamaha. "Sie sind in eine Falle getappt, die wesentlich gefährlicher ist als der Irak, Afghanistan oder Somalia."
Tatsächlich spricht einiges für ein Szenario wie in diesen Ländern, in denen es den hochtechnologisierten Armeen des Westens über Jahre hinweg nicht gelungen ist, für eine dauerhafte Befriedung zu sorgen. Auch in Mali können sich die islamistischen Rebellen leicht unter die Zivilbevölkerung mischen, ohne seine Kalaschnikow lässt sich für einen fremden Soldaten ein Kämpfer nur schwer von einem einfachen Bauern unterscheiden. Militärexperten befürchten zudem, dass die Ansar Dine ihre Strategie dahingehend ändert, dass sie konventionelle Kampfhandlungen vermeidet und stattdessen auf Guerilla-Angriffe setzt. Die Berge in den Regionen um Kidal oder Douentza böten dafür ideale Rückzugsräume. Ebenso möglich erscheint, dass die Rebellen als lose Gruppen in die Nachbarländer einsickern und sich dann für einen konzentrierten Angriff wieder in Mali sammeln.
Dass die französischen Truppen tiefer in den Norden Malis vorstoßen, schließt Hollande derzeit allerdings noch aus. Seiner Aussage nach hat die Operation Serval nicht das Ziel, die Rebellen aus ihren Hochburgen zu vertreiben, sondern lediglich ihren Vormarsch zu stoppen und damit den Einsatz der Ecowas-Truppen vorzubereiten. Sollte es dabei bleiben, sehen Militärstrategen wie Walter Feichtinger auch keine größeren Probleme auf die Franzosen zukommen.
"Die Luftüberlegenheit bedeutet für die Kräfte am Boden eine enorme Herausforderung, der sie kaum etwas entgegenzusetzen haben", sagt der Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement an der Landesverteidigungsakademie. Feichtinger zufolge sind es aber nicht nur die Kampfjets, die den französischen Truppen entscheidende Vorteile verschaffen. Dank Satellitenaufklärung können auch gut getarnte Stellungen oder Ausbildungscamps der Rebellen ausgemacht und schließlich bekämpft werden. Die französischen Spezialkräfte verfügten zudem dank der vielen Einsätze in den vergangenen Jahren über beste Erfahrungen in Afrika. Für Hollande ist das wohl eine Ironie des Schicksals. Der Afrikakrieger wider Willen, der "Francafrique" eigentlich endgültig zu Grabe tragen wollte, profitiert nun von jenen Netzwerken, mit denen Frankreich über Jahrzehnte versucht hat, seinen Einfluss in Afrika zu wahren.