Madrid - Wäre es nach Ramon Serrano Suner gegangen, wäre Spanien an der Seite von Nazi-Deutschland in den Zweiten Weltkrieg eingetreten. Aber ausgerechnet er, die rechte Hand des spanischen Diktators Francisco Franco und Exponent einer achsenfreundlichen Politik, musste Hitler damals eine Absage erteilen. Serrano, der am Mittwoch 100 Jahre alt wird, bekräftigte erst kürzlich: "Es wäre aufrichtiger gewesen, wenn sich Spanien auf die Seite Deutschlands und Italiens gestellt hätte."
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Spaniens Kriegseintritt schien damals ein logischer Schritt zu sein. Die Franco-Diktatur stand den Regimes von Hitler und Benito Mussolini ideologisch nahe. Zudem hatte Hitlers Luftwaffe Franco geholfen, im spanischen Bürgerkrieg (1936 bis 1939) die Macht zu erobern. Serrano, von 1940 bis 1942 spanischer Außenminister, erinnert sich an sein entscheidendes Treffen mit Hitler: "Ich war tief besorgt, als ich Hitler unser Nein übermitteln musste. Umso größer war meine Erleichterung, als der Führer zu mir sagte: Schon gut, Serrano, schon gut."
Den Spaniern ist Serrano heute vor allem als Schwager Francos in Erinnerung. Im Volksmund erhielt er - in Anlehnung an dessen Titel "Generalisimo" - den Spitznamen "Cunadisimo" (Ober-Schwager). Heute lebt er zurückgezogen in Madrid und im Badeort Marbella.
Der Franco-Schwager dürfte einer der letzten noch lebenden Politiker sein, der noch persönlich mit Hitler und Mussolini verhandelt hat. Er nahm auch an dem historischen Treffen Francos und Hitlers am 23. Oktober 1940 in Hendaye teil. Dennoch trug er wenig dazu bei, die damals undurchsichtige Rolle des Franco-Regimes aufzuhellen. "Er hat dazu nie etwas Interessantes gesagt, dafür aber eine Reihe von Unwahrheiten in die Welt gesetzt", meint der Historiker Angel Vinas.
Ob die Spanier es wirklich Franco zu verdanken hatten, dass ihnen damals der Kriegseintritt erspart blieb, ist unter Experten umstritten. "Wer Spanien den Krieg erspart hat, war nicht so sehr Franco, sondern Hitler, der an Südeuropa wenig Interesse hatte", meint der Historiker Javier Tusell.
1942 setzte Franco den zweitmächtigsten Mann des Regimes plötzlich ab. Dem Diktator war nicht entgangen, dass der gewiefte Jurist auf ihn und die anderen Militärs mit einer gewissen Arroganz und Verachtung herabblickte. Zudem hatte sich das Kriegsglück zu Ungunsten Hitlers gewendet.
Serrano war wegen einer Reihe von Frauengeschichten ohnehin bei seinem Schwager in Ungnade gefallen. Mit seinen außerehelichen Affären hatte er vor allem Francos Gattin Carmen Polo gegen sich aufgebracht. Dona Carmen, die Schwester von Serranos Frau, nahm dem Schwager übel, dass er ihre Schwester betrog.
Nach seiner Absetzung verschwand Serrano von der politischen Bühne. Er erwarb als Anwalt und Firmenchef ein Vermögen. Über seine Vergangenheit hüllte er den Mantel des Schweigens. Er wurde nie dafür zur Rechenschaft gezogen, dass er den diktatorischen Franco-Staat mit aufzubauen half. Damit ist er ein lebendes Symbol für die fehlende Vergangenheitsbewältigung in Spanien, wo keiner der Führer des Franco-Regimes jemals vor Gericht gestellt worden ist.