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Frankreich bangt um seinen guten Ruf

Von Von Hermann Sileitsch und Konstanze Walther

Wirtschaft

Rating in Gefahr: Bankenrettungen könnten Paris besonders teuer kommen.


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Paris/Wien. Die Welt dreht sich gehörig verkehrt: Üblicherweise ist Frankreich nicht zimperlich, wenn es darum geht, Unternehmen an die kurze staatliche Leine zu nehmen. Ein Staat, der tief in die Wirtschaft hineinregiert - das verursacht sonst in Deutschland heftiges Grauen. Jetzt ist alles anders: Notfalls müsse der Staat den Banken eben beispringen, wenn sich diese anders kein Kapital beschaffen können, sagt der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble. Nach dem Motto "Und bist du nicht willig" wird in Berlin sogar überlegt, den Banken notfalls mit Zwangsmaßnahmen zu ihrem Glück - in Form von staatlichem Kapital - zu verhelfen.

Schäubles französisches Pendant, Budgetministerin Valérie Pécresse, hingegen lehnt eine staatliche Unterstützung für Banken vehement ab. Nicht zuletzt an diesem Konflikt spießt sich die Vorbereitung des EU-Gipfels am 23. Oktober, der die Schuldenkrise der Eurozone endlich beilegen sollte. Die sture Haltung in Paris ist leicht erklärt: Die Franzosen sorgen sich, dass ausufernde Staatshilfen für den Finanzsektor ihren Haushalt belasten - und damit die Kreditwürdigkeit der Grande Nation gefährden. Im Moment ist Frankreich eines von nur noch sechs Euroländern, das von den Ratingagenturen die Bestnote (AAA) erhält (siehe Grafik).

Schon seit Monaten warnen Ökonomen, dass die Kreditwürdigkeit des Landes bald auf den Prüfstand gestellt werden könnte. In den vergangenen Wochen hat sich die Lage aber durch die Eskalation der Bankenkrise massiv zugespitzt. Bereits in den kommenden Wochen könnte die US-Ratingagentur Standard & Poor’s die Bonität Frankreichs mit einem negativen Ausblick versehen, warnte Jörg Krämer, Chefvolkswirt der deutschen Commerzbank, im "Handelsblatt". Das wäre der erste Schritt in Richtung einer Abwertung, die 2012 folgen könnte. "Ein neues Rettungspaket für die Schuldenländer im Süden der Währungsunion wird auch die französischen Staatsfinanzen belasten", so Krämer. Thorsten Polleit von Barclays Deutschland teilt diese Einschätzung: Die französische Haushaltslage sei bereits jetzt alles andere als vertrauenserweckend.

Großbanken unter Beschuss

Fast gebetsmühlenartig beteuert Frankreichs Notenbankchef Christian Noyer, dass der Finanzsektor solide aufgestellt sei - er könne Verluste durch Abschreibungen auf griechische Schulden problemlos verkraften, so Noyer zuletzt am Sonntag. Die französischen Banken, die griechische Schuldtitel im Wert von acht Milliarden Euro in den Büchern haben, wären durchaus in der Lage, ihre Kapitalreserven ohne öffentliche Gelder aufzustocken: Immerhin hätten sie allein im ersten Halbjahr elf Milliarden Euro Gewinn verbucht.

Dennoch wird Noyer wenig Gehör geschenkt: Zum einen ist Frankreich bereits zum Handkuss gekommen. Die belgisch-französische Bank Dexia musste vor einer Woche zum zweiten Mal aufgefangen werden und erhält staatliche Garantien im Ausmaß von 90 Milliarden Euro - Frankreich muss dabei für einen Anteil von 36,5 Prozent geradestehen.

Und auch die drei größten französischen Kreditinstitute - BNP Paribas, Société Génerale und Crédit Agricole - haben stürmische Wochen hinter sich: Sie wurden an den Börsen böse abgestraft. Sollte sich die EU tatsächlich darauf verständigen, dass Europas Banken selbst unter Stressbedingungen noch eine Kernkapitalquote von neun Prozent erreichen müssen, käme das teuer: Dann würden Frankreichs Banken nach Reuters-Berechnungen 41 Milliarden Euro an zusätzlichem Kapital benötigen.

Das würde den Staatshaushalt, der mit einer Schuldenquote von 85 Prozent und einem Defizit von 5,8 Prozent der Wirtschaftsleistung ohnehin fernab der Maastricht-Ziele (60 bzw. 3 Prozent) liegt, überfordern.

Auch Konsum schwächelt

Die Lage des Finanzsektors wäre nur halb so schlimm, stünden alle anderen Wirtschaftssektoren in voller Blüte. Doch auch daran krankt es: Frankreich wächst kaum. Schon für das zweite Viertel 2011 musste Premierminister François Fillon die Wachstumszahlen korrigieren und ein "Null-Wachstum" verkünden.

In den kommenden Quartalen wird sich an diesem Bild wenig ändern: Nach jüngsten OECD-Zahlen kann Frankreich bis Jahresende nur mit schwachen Quartalszuwächsen von 0,9 bzw. 0,4 Prozent rechnen. Und diese Prognosen sind mit Vorsicht zu genießen - derzeit führt praktisch jede Aktualisierung näher an die Nulllinie heran. Dafür nähert sich die Arbeitslosigkeit langsam aber sicher der Marke von 10 Prozent - das lässt die Verbraucher vorsichtig werden und drückt auf die Kauflaune: Der Konsum, bisher ein Wachstumstreiber, ist im zweiten Quartal eingebrochen.

Die Exportwirtschaft ist ebenfalls keine große Hilfe: Sie kämpft seit fast 10 Jahren mit ständigen Rückgängen. In der Außenhandelsbilanz klafft somit ein gewaltiges Loch - allein im ersten Halbjahr 2011 fast 33 Milliarden Euro.

Frankreichs Regierung hat den Ernst der Lage erkannt - ein Maßnahmenpaket soll das Unmögliche schaffen, die Konjunktur anzukurbeln und die Verschuldung zurückzufahren. Eine Steuerreform und Sparmaßnahmen sollen 12 Milliarden Euro Entlastung bringen. Präsident Nicolas Sarkozy hat sogar eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild vorgeschlagen - was früher undenkbar gewesen wäre.

Dennoch sind Beobachter skeptisch, ob die Ziele 2012 tatsächlich eingehalten werden: "Die Politiker werden wegen des Präsidentenwahlkampfs zögern, Steuern zu erhöhen oder Ausgaben zu senken", sagt Krämer.

Sollte Frankreichs Triple-A-Rating verloren gehen, würde das nicht nur die Kreditaufnahme des Staates verteuern und die französischen Banken abermals belasten. Vor allem wäre es für die Eurozone eine Katastrophe: Mit seiner derzeitigen Architektur kann der Euro-Rettungsfonds (EFSF) nur auf zwei starken Beinen stehen. Deutschland und Frankreich garantieren in Summe für 370 Milliarden Euro des Hilfstopfes.

Sollte eines dieser Länder die Topbonität verlieren, wäre auch jene des EFSF dahin: Dann würde es für die Eurozone noch einmal bedeutend teurer, die nötigen Mittel für die Kredite zugunsten von Griechenland, Portugal und Irland aufzustellen.

Kein Rating ist sakrosankt

Es mag ein schwacher Trost sein, aber: Auch die Bestnoten anderer Länder sind nicht sakrosankt: Großbritannien etwa hat nicht nur eine Staatsverschuldung, die ähnlich hoch ist, sondern ein noch größeres Defizit. Dennoch: Der Regierung von David Cameron wird ein Sanierungskurse eher zugetraut - und die Briten profitieren davon, dass sie eine eigene Währung besitzen. Das Pfund wird von Investoren als sicherer Hafen angelaufen - obwohl die Bank of England die Druckerpressen rotieren lässt und die Geldmenge permanent ausweitet.

Mittlerweile gilt sogar Euro-Sparmeister Deutschland als gefährdet: Die Hilfsgelder für andere Euroländer könnten die Schuldenlasten drastisch verschlechtern und Zweifel am deutschen AAA-Rating wecken, warnt Barclays-Ökonom Thorsten Polleit.