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Frankreich braucht eine Agenda 2010

Von Adrian Lobe

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Adrian Lobe ist freier Journalist.

Die Reformanstrengungen von Präsident Hollande reichen nicht aus. Frankreich benötigt eine umfassende Reform des Arbeitsmarktes.


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10,3 Prozent Arbeitslosigkeit, 1,8 Billionen Euro Staatsschulden, rund 4 Prozent Haushaltsdefizit - Frankreichs ökonomische Kennzahlen sind alarmierend. Die Deindustrialisierung der zweitgrößten Volkswirtschaft Europas schreitet unaufhaltsam voran. In den vergangenen drei Jahren mussten 900 Betriebe schließen. 700.000 Arbeitsplätze gingen verloren. Besonders betroffen ist die Automobilindustrie. Allein PSA Peugeot Citroën streicht 11.000 Stellen. Der Grund: Die französische Wirtschaft ist nicht mehr wettbewerbsfähig. Die Arbeitskosen sind im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hoch. Sage und schreibe 56 Prozent des Bruttolohns gehen für Sozialabgaben drauf.

Der Pakt für Wettbewerbsfähigkeit, der im November des Vorjahres unter der Ägide von Louis Gallois, dem Generalkommissar für französische staatliche Investitionen, vorgestellt wurde und eine Senkung der Lohnnebenkosten um 30 Milliarden Euro vorsieht, reicht dabei nicht aus. Frankreich braucht eine umfassende Reform des Arbeitsmarktes. Zuerst müssen die "régimes spéciaux" abgeschafft werden. Diese Sonderregelung erlaubt es Staatsbediensteten, mit durchschnittlich 56,7 Jahren in den Ruhestand zu gehen. Einen solchen Luxus kann man sich schon aus demographischen Gründen nicht mehr leisten. Ebenso muss die 35-Stunden-Woche gekippt werden. Es ist eine Mär zu glauben, dass weniger Arbeitszeit mehr Arbeitsplätze schafft. Unter dem Motto "Travailler plus pour gagner plus" (mehr arbeiten, um mehr zu verdienen) wollte Ex-Präsident Nicolas Sarkozy Mehrarbeit honorieren, indem er die Besteuerung der Überstunden ("heures supplémentaires") abschaffte.

Sein Nachfolger François Hollande hat die Reform zurückgedreht. Überstunden müssen nun wieder versteuert werden. Das erzeugt Fehlanreize. Frankreichs Beamte gönnen sich 44 Urlaubstage im Jahr - ein europäischer Spitzenwert. Das Land muss von liebgewonnenen Privilegien Abschied nehmen, sonst fährt es gegen die Wand. Gerhard Schröders Agenda-Politik in Deutschland hat gezeigt, dass durch eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes neue Jobs entstehen. Die Lohnzurückhaltung in Form von moderaten Tarifabschlüssen hat das Fundament des Wachstums in Deutschland gelegt.

Hollande hat diese Lehre noch nicht verstanden. In einem Fernsehinterview sagte er, die "Werkzeugkiste" stünde bereit. Der Präsident hofft, dass das Wachstum zurückkehrt und die Wirtschaft automatisch wieder anspringt. Doch das ist naiv. Die hohe Arbeitslosigkeit ist nämlich nicht nur konjunktureller, sondern struktureller Natur. Und damit ein politisches Problem.

Die Menschen erwarten Taten. Jeden Tag kommen rund 1000 Arbeitslose hinzu. Präsident Hollande wirkt dieser Tage wie ein Getriebener. Anstatt eine klare Linie vorzugeben, verliert sich Hollande in Miniprojekten und ideologischen Randthemen wie der Reichensteuer, die ein Gerechtigkeitsgefühl in der Gesellschaft bedienen soll, aber keine fiskalischen Probleme löst. Der Staatschef muss die großen Themen wie Rente, Arbeitszeit und Lohnkosten anpacken, um Frankreich wieder in die Spur zu bringen.