Zwei Jahre vor Ende seines Mandats hat der schwer angeschlagene Staatspräsident Jacques Chirac seine letzte Karte ausgespielt. Dominique de Villepin soll als neuer französischer Premierminister das Kunststück fertigbringen, das schlingernde Regierungsschiff wieder auf Kurs zu bringen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Drei Mal haben die Wähler Chirac und die Konservativen seit dem denkwürdigen Sieg des Präsidenten über den Rechtsextremisten Jean-Marie Le Pen 2002 abgestraft. Doch erst nach dem desaströsen Referendum über die EU-Verfassung am Sonntag feuerte Chirac endlich Premierminister Jean-Pierre Raffarin, dem als biederen Politikverwalter zuletzt alles zu misslingen schien, und der nur noch auf seine Ablösung wartete.
Bestätigen sich die Informationen aus der Regierungspartei UMP, dann schickt Chirac nun das Tandem Villepin-Nicolas Sarkozy ins Rennen. Der umtriebige und populäre UMP-Vorsitzende mit dem Macher-Image soll demnach als Innenminister ins Kabinett zurückkehren, das er erst im November verlassen musste. Der Präsident stellte seinen ehrgeizigen Rivalen damals vor die Alternative: Ministerposten oder UMP-Vorsitz.
Jetzt hat er offenbar beide Ämter inne und damit eine hervorragende Ausgangsposition für die Präsidentschaftskandidatur 2007. Dass Chirac diese bittere Kröte schlucken musste, zeigt seinen Autoritätsverlust, nicht nur bei den enttäuschten Franzosen, sondern auch im eigenen politischen Lager. Sarkozy dürfte darauf spekulieren, sich im Innenressort wie in den Jahren 2002 bis 2004 weiter zu profilieren, ohne sich als für alles verantwortlicher Regierungschef im politischen Alltagsgeschäft zu verschleißen.
Ob Chirac mit der Regierungsumbildung der große Befreiungsschlag gelingt, darf jedoch bezweifelt werden. Der Fraktionschef der Sozialisten, Jean-Marc Ayrault, kritisierte, Villepin habe doch als Minister seit drei Jahren alle Fehler mitgetragen. "Das ist, als wollte man eine schwere Krise mit kalten Umschlägen heilen", spottete Ayrault. Der Präsident habe mit Villepin einmal mehr einen persönlichen Vertrauten, ein Mitglied des "Clans Chirac" berufen.
Entscheidend dürfte werden, ob mit dem neuen Regierungschef ein Politikwechsel kommt. Die hohe Arbeitslosigkeit von über zehn Prozent ist das dringendste Problem. Villepin hatte sich in den letzten Wochen offen über Raffarins Tatenlosigkeit beschwert. "Man kann sich nicht mit zehn Prozent Arbeitslosigkeit abfinden. Es stimmt nicht, dass wir alles versucht haben", kritisierte er.
Am Abend wollte Chirac in einer Fernsehansprache die neue Regierungslinie abstecken. Villepin hat höchstens 22 Monate Zeit: Spätestens im Frühjahr 2007 werden bei der Präsidentschaftswahl die Karten neu gemischt. Chiracs letzter Trumpf muss bis dahin stechen.