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Streiks und Massendemonstrationen verschärfen die Sicherheitslage vor der EM - die Behörden beruhigen.
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Paris/Den Haag. Gut zehn Tage vor dem ersten Spiel der Europameisterschaft wird die Sicherheitslage in Frankreich immer angespannter. Ein Ende der Streiks ist nicht abzusehen, im Gegenteil: Die großen Gewerkschaften halten an den Ausständen fest und wollen diese in den kommenden Wochen während der EM sogar noch ausweiten.
Die Franzosen wehren sich vehement gegen die von der Regierung geplanten Arbeitsrechtsnovelle. "Wir haben beschlossen, an jedem Spieltag in den jeweiligen Austragungsorten zum Streik aufzurufen", verkündete ein Sprecher der Force Ouvrière, einer der größten Gewerkschaften des Landes, am Montag. Vor allem der öffentliche Personenverkehr und das Transportwesen, aber auch Servicebetriebe wie die Müllabfuhr wären demnach an den Spielorten betroffen. Erst wenn die Regierung die Arbeitsmarktreformpläne zurücknimmt, würde man von Streikmaßnahmen absehen, so die Force Ouvrière. Probleme könnte auch die durch die Streiks verursachte Treibstoffknappheit machen.
Riesiges Aufgebot
Die Regierung aber will hart bleiben, trotz des zu erwartenden Chaos will keine der beiden Seiten einlenken. Nicht nur in organisatorischer Hinsicht wird das Massenereignis EM zur Herausforderung. Die Streiks und Großdemonstrationen stellen für Polizei und Geheimdienste eine noch nie dagewesene Ausnahmesituation dar. Am Rande von Gewerkschaftsdemos, denen sich teilweise auch Teilnehmer der "Nuit debout"-Protestbewegung anschließen, kommt es immer wieder zu gewalttätigen Ausschreitungen von Randalierern und Autonomen. Die Angst in groß, dass die Massendemonstrationen während der EM Polizeikräfte binden, die dann im Sicherheitskonzept rund um die EM-Spiele fehlen könnten. An die 100 Terroranschläge konnten die französischen Behörden seit Jahresbeginn vereiteln, ist aus Kreisen der französischen Exekutive zu hören.
Zielland Nummer eins
"Niemand, und vor allem nicht die Terroristen, wird uns daran hindern, normal zu leben", versuchte Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve am Mittwoch in Paris bei der Vorstellung des Sicherheitskonzepts für die EM zu beruhigen. Mehr als 90.000 Polizisten, private Sicherheitskräfte und Rettungskräfte werden rund um die Spiele der Euro im Einsatz sein. Zudem stellt jedes Teilnehmerland eine Delegation aus acht Polizeibeamten ab, die bei allen Spielen des jeweiligen Teams im Stadion präsent sein werden.
Frankreich ist für den islamistischen Terrorismus nach wie vor Zielland Nummer eins, weiß Gerald Hesztera von Europol. Der ehemalige österreichische Polizeioffizier ist im Den Haager Hauptquartier der internationalen Polizeibehörde Mitglied des Direktoriums und für Kommunikation zuständig. Bis zu 5000 "foreign fighters" seien aus Europa nach Syrien gereist, um dort für den IS zu kämpfen. Ein Drittel, so Hesztera im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", sei wieder zurückgekehrt. Wie auch in Österreich würde von ihnen die größte Bedrohung ausgehen. Aber: "Nach den Anschlägen in Frankreich und Belgien hat sich sicherheitspolitisch sehr viel getan", zieht der Europol-Ermittler Bilanz. Die Zahl der ausländischen Kämpfer gehe inzwischen zurück - "wir hoffen, dass dieser Trend anhält".
Nicht nur in Bosnien, auch in EU-Staaten habe es Ausbildungslager für Terroristen gegeben, sagt Hesztera. Nach den Pariser Anschlägen seien diese von den Behörden umgehend aufgelöst worden. Die Bereitschaft der Europol-Mitgliedsstaaten, nicht nur polizeiliche, sondern auch geheimdienstliche Daten auszutauschen, sei gestiegen. Besonderes Augenmerk müsse man auf die kriminelle Szene legen. Es sei bekannt, dass viele Dschihadisten aus dem kleinkriminellen Milieu kämen. "Sorgen machen uns aber besonders Gefährder mit schwerkriminellem Hintergrund, die sich plötzlich radikaliseren. Sie passen in kein Schema, die Bereitschaft zu militanten Aktionen ist bei ihnen sehr viel höher", so Hesztera.
Ein weiteres Problem sei das Angebot an illegalen Waffen. Wegen des Konflikts in der Ukraine, aber auch noch aus Zeiten des Bürgerkriegs am Balkan, seien so viele militärische Waffen im Umlauf, dass es für potenzielle Terroristen verhältnismäßig einfach wäre, sich entsprechend auszurüsten. Hesztera: "Es gibt genug Nachfrage und noch viel mehr Angebot."
Was die Überwachung der Kommunikation der Gefährder angeht, stehe Europas Gesellschaft vor einem Dilemma. Das Datenschutzrecht und Verschlüsselungen in sozialen Medien würden die Arbeit der Anti-Terror-Behörden erschweren. Zudem sei in Zukunft auch mit Angriffen auf die digitale Infrastruktur zu rechen, befürchtet Hesztera.