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Frankreich muss fit werden

Von Hermann Sileitsch

Politik

Hollande-Lob für Schröder signalisiert Reformwillen - EU fördert Investitionen.


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Brüssel/Paris. Ein-Euro-Jobs, Kürzung des Arbeitslosengeldes, gelockerter Kündigungsschutz: Viele betrachten "Agenda 2010" als Synonym für Sozialabbau. Andere sehen darin jenes Rezept, das Deutschlands heutige wirtschaftliche Stärke erst ermöglicht hat. Der SPD fällt es nach wie vor schwer, das Reformwerk ihres früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder zu würdigen. Dass aber ein sozialistischer Präsident aus Frankreich positive Worte dafür finden würde, galt als undenkbar. Nicht mehr: François Hollande erwähnte bei der 150-Jahrfeier der SPD in Leipzig Schröders "mutige Reformen" - bisweilen seien diese für den Fortschritt nötig.

Das Lob war wohl auch für die Heimat gesprochen: Frankreich stehen ähnliche (wenn auch nicht ganz so dramatische) Anstrengungen bevor. Die Vorzeichen haben sich umgekehrt: Zum Start der Währungsunion 1999 verzeichnete Frankreich deutliche Leistungsbilanzüberschüsse von bis zu zwei Prozent der Wirtschaftsleistung - ein Ausweis von Wettbewerbsfähigkeit. Deutschland kämpfte dagegen an, der kranke Mann in Europa zu sein.

Abtausch Zeit gegen Reform

Heute ist es umgekehrt: Der Industrieschwund schreitet in Frankreich rascher voran als im Rest Europas, die Weltmarktanteile sinken. Ein hohes Defizit lässt die Staatsschulden auf 95 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) anwachsen. Schuld ist nicht allein die Krise: Die Krankheit scheint bereits chronisch, somit nur mit Strukturreformen zu bekämpfen.

Kein Wunder also, dass am Mittwoch in Brüssel Europas zweitgrößte Volkswirtschaft im Mittelpunkt des Interesses sein wird, wenn die alljährliche Zeugnisverteilung im "Europäischen Semester" ansteht: Die EU-Kommission bewertet, ob die Wirtschafts- und Fiskalpolitik der Länder in Einklang mit ihren Vorgaben ist. Alles läuft darauf hinaus, dass Frankreich im Defizitverfahren zwei Jahre Zeit mehr erhält, um sein Budgetziel zu erreichen. Ursprünglich sollte die Defizitschwelle von maximal drei Prozent des BIP schon heuer unterschritten werden.

Paris muss den Gürtel also nicht gleich dramatisch enger schnallen. Das ist Brüssels Zugeständnis in der hitzigen Politdebatte "Wachstum versus Sparen". Allerdings wird es das nur im Abtausch mit Reformversprechen geben, heißt es in Brüssel. Was fordert die Kommission konkret? Da stößt man noch auf eine Mauer des Schweigens: Die Causa gilt offenkundig als sensibel. Das Ziel ist klar: Paris muss seiner Wirtschaft mehr Wettbewerbsfähigkeit verordnen. Das heißt, Frankreichs Industrie muss produktiver oder billiger werden - am besten beides. Ein heikler Spagat für Hollande, dessen Umfragewerte schon jetzt im Keller sind und der nun noch weiter von Wahlversprechen abrücken muss.

Wer nicht investiert, verliert

Den zwei akuten Problemländern Spanien und Slowenien dürfte die Kommission ebenfalls Reformaufträge erteilen. Vermutlich kommen diese Länder noch mit Empfehlungen davon. Eine Verschärfung wären "korrektive" Verfahren; dann drohen Sanktionen.

Die EU-Kommission hat unterdessen erkannt, dass ohne Investitionen in den Krisenländern kein Aufschwung möglich sein wird. Ein Sprecher der Kommission bestätigte am Montag, dass bis zum EU-Gipfel im Juni Vorschläge auf dem Tisch liegen werden, wie mit öffentlichen Investitionen im Rahmen der Defizitziele umgegangen werden soll, sofern diese nicht zu mehr Schulden führen, sondern die Staatsfinanzen auf Dauer nachhaltiger machen. Eine Idee besteht darin, den nationalen Kofinanzierungsanteil von Projekten aus dem EU-Strukturfonds bei den Defizitvorgaben auszuklammern. Die deutsche Regierung befürchtet jedoch laut "Handelsblatt", dass dies zum Einfallstor für weitere Forderungen würde. Hingegen könnte sich Berlin laut "Spiegel" vorstellen, über die staatliche Förderbank KfW mit einer Investitionsinitiative in Ländern wie Spanien auszuhelfen.