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"Frankreich muss sich öffnen"

Von WZ-Korrespondent Adrian Lobe

Politik

Abgeordneter der Parti Socialiste verteidigt die Reichensteuer.


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Paris. Am Mittwoch gibt die EU-Kommission ihre länderspezifischen Empfehlungen im Rahmen des "Europäischen Semesters" ab. Bewertet wird die Wirtschafts- und Fiskalpolitik der einzelnen Mitgliedsstaaten. Das Augenmerk richtet sich dabei vor allem auf Frankreich, das mit einer Rezession und hohen Staatsverschuldung kämpft. Es soll zwei Jahre Zeit mehr bekommen, um das Budgetdefizit auf drei Prozent des BIP zu drücken. Radikale Reformen à la Agenda 2010 lehnt der sozialistische Abgeordnete Matthias Fekl ab, mit dem die "Wiener Zeitung" sprach.

"Wiener Zeitung": Herr Fekl, wie sieht Ihre Bilanz über das erste Jahr von Staatspräsident François Hollande aus?

Matthias Fekl: Als die Linke nach zehn Jahren Opposition wieder an die Macht kam, war das Land in einem desolaten Zustand: Die Staatsschulden explodierten, die Arbeitslosigkeit war hoch, das Wachstum schwach. Wir haben wichtige Reformen angestrengt: eine Arbeitsmarktreform, einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit.

Die Arbeitslosenquote liegt derzeit bei über zehn Prozent. Und die Kaufkraft sinkt weiter. Die Leute sind unzufrieden.

Kein Staatschef kann in der Krise beliebt sein. Solange die Wirtschaft stagniert, bleibt auch die Unbeliebtheit bestehen. Was die Franzosen wollen, ist, dass die Regierenden sich mit 200 Prozent in die Arbeit stürzen. Die Leute wissen, dass es Zeit braucht, bis die Reformen ihre Früchte tragen.

Hollandes geplante Reichensteuer von 75 Prozent wurde im Dezember vom Verfassungsrat gekippt. War das nicht auch ein ideologisches Projekt? Die Steuerlast ist doch schon immens hoch. Die Opposition sagt, 75 Prozent Steuer ab einer Million Euro sei "konfiskatorisch".

Nein. Das Gegenteil ist der Fall. Je reicher Sie sind, desto weniger Steuern zahlen Sie in Frankreich. Das französische Fiskalsystem ist in Wirklichkeit weniger progressiv, als es die Steuersätze vermuten lassen. Man darf auch nicht vergessen, dass es vor ein paar Jahrzehnten gang und gäbe war, extrem Reiche hoch zu besteuern. Das hat niemanden schockiert. Auch in den USA war das vor der Reagan-Ära der Fall. Nach 30 Jahren ultraliberaler Politik ist diese Linie erodiert. Das Problem sind heute die Steuerschlupflöcher.

Frankreichs Mittelstand ächzt unter der Krise. Wie wollen Sie die Klein- und Mittelbetriebe fördern? Indem man die Lohnnebenkosten senkt?

Man muss die Normen vereinfachen. Weniger Bürokratie. Wir brauchen eine bessere Verzahnung zwischen Banken und Unternehmen. Es fehlte an regionalen Banken, die das Terrain der Geschäfte kannten. Deshalb haben wir die Bank für öffentliche Investitionen gegründet, die Unternehmen mit Krediten versorgt. Eine große Baustelle ist auch die Ausbildung junger Arbeitnehmer. Die Qualifikationen sind nicht auf die Bedürfnisse der Unternehmen ausgerichtet. Es ist nicht normal, dass es bei einer solch hohen Arbeitslosigkeit so viele offene Stellen gibt.

Kommen wir zu den deutsch-französischen Beziehungen. In einem Positionspapier ihrer Partei ist von "egoistischer Unnachgiebigkeit" Angela Merkels die Rede. Präsident Hollande sprach in einem Fernsehinterview von "freundschaftlicher Spannung". Das kam in Deutschland nicht gut an. Wie steht es um die deutsch-französische Achse?

Das war eine Polemik und überspitzte Formulierung. Es ist normal, dass eine linke Partei nicht mit der konservativen Regierung in Deutschland übereinstimmt. Angela Merkel fehlt eine Vision für Europa. Worauf es jetzt ankommt, ist, dass Frankreich und Deutschland wieder ein Motor in der europäischen Einigung werden und es mehr gemeinsame Projekte gibt. Es gibt viele Bereiche, in denen beide Länder enger zusammenarbeiten können. Zum Beispiel in der Energiepolitik oder bei der Entwicklung von Biotechnologien. Ich denke, dass es auch einer deutsch-französischen Wissenschaftskooperation bedarf. Man muss sich direkt an die Menschen wenden. Ich schlage zum Beispiel einen gemeinsamen Zivildienst vor. Europa muss in die Herzen eindringen.

Die Wähler wollen keine weiteren Integrationsschritte unter Preisgabe nationaler Souveränitätsrechte. Die EU stößt auf Widerstand. Der Nationalismus keimt in Europa wieder auf, und Populisten wie Marine Le Pen, profitieren davon.

Europa tut nichts, um geliebt zu werden. Vor kurzem hat die EU zum Beispiel die Nahrungsmittelhilfe für Bedürftige gekürzt. Dass dies für Unmut sorgt, verwundert nicht.

Hollande schlägt eine Wirtschaftsregierung für Europa vor. Was halten Sie davon?

Das ist unabdingbar. Man kann keine gemeinsame Währung ohne eine Koordinierung der Wirtschaftspolitik haben. Der Konstruktionsfehler liegt in der institutionellen Architektur der EU. Das Parlament muss der zentrale Ort der Entscheidungsfindung sein. Die Kommission sollte den Abgeordneten vollumfänglich rechenschaftspflichtig werden. Man muss auch über ein Kerneuropa nachdenken. Die Staaten, in Politikbereichen wie etwa bei Steuern mehr Integration wollen, sollten daran nicht gehindert werden.

Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten?

Man sollte es nicht so bezeichnen. Der Begriff suggeriert, dass die restlichen Mitgliedstaaten zurückgelassen werden. Das ist damit nicht gemeint. Aber man darf Mitgliedstaaten, die mehr Kooperation wollen, nicht bremsen.

Frankreich verstößt auch 2013 gegen die Maastricht-Kriterien. Das Haushaltsdefizit liegt bei 3,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die EU-Kommission räumt Frankreich zwei weitere Jahre zur Sanierung der Staatsfinanzen ein. Braucht Frankreich eine "Agenda 2010", wie sie die Regierung Schröder in Deutschland umgesetzt hat, um wieder auf Kurs zu kommen?

Nein. In der "Agenda 2010" gibt es Dinge, die in Frankreich nicht akzeptabel wären: die Minijobs, die Explosion des Prekariats etwa alleinerziehender Mütter. Das wäre mit Frankreichs Sozialmodell unvereinbar. Wenn man sich die Bilanz in Deutschland ansieht, gibt es einen Dualismus: zum einen den hoch wettbewerbsfähigen Sektor, zum anderen einen Bereich, in dem die Arbeitsbedingungen grässlich sind.

Frankreich debattiert gerade, ob auf den Universitäten mehr auf Englisch unterrichtet werden soll.

Frankreich muss sich öffnen. In der globalisierten Wirtschaft ist das wichtig. Immer wenn es sich hinter einer Maginot-Linie verschanzte, hat es verloren.

Zur Person
Matthias Fekl, 1977 in Frankfurt am Main als Sohn eines Deutschen und einer Französin geboren, trat 2001 der Parti Socialiste (PS) bei. 2012 wurde er im Wahlkreis Lot-et-Garonne (Aquitaine) in die Nationalversammlung gewählt.