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Frankreich vs. ArcelorMittal: Verstaatlichung und Lügen

Von Konstanze Walther

Wirtschaft

Mittal legt Hochöfen still, Hollande droht Gesamtbetrieb zu verstaatlichen.


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Paris. "Die teilweise Verstaatlichung ist weiterhin am Tisch", versichert Frankreichs Arbeitsminister Michel Sapin am Mittwoch. Der Ausnahmezustand hält an. Schon am Dienstag musste sich der französische Finanzminister Pierre Moscovici mit wichtigen amerikanischen und britischen Investoren treffen und ihnen versichern, dass die geplante Verstaatlichung eines von der Schließung bedrohten Stahlwerks eine Ausnahme darstelle und der französische Staat, der seit Mai mit François Hollande einen sozialistischen Präsidenten hat, nicht vor einer "Verstaatlichungswelle" stehe. Nur vor der Übernahme eines einzelnen Werks von ArcelorMittal. Die Gespräche dauern noch an.

Stein des Anstoßes war, dass der globale Stahlgigant die Betreibung der Hochöfen seiner Fabrik im lothringischen Florange schließen will. Das hatte er schon Anfang Oktober angekündigt. Überraschend ist das nicht - schon 9 von 25 Hochöfen in Europa wurden stillgelegt, in Spanien sind Hochöfen schon permanent geschlossen worden. Die Stahlpreise sind im Keller, die Nachfrage ist, gemessen an den Jahren des Booms, gering.

ArcelorMittal hat der französischen Regierung bis Ende dieser Woche Zeit eingeräumt, einen Käufer für die Hochöfen in Florange zu finden. 629 Jobs sind in Gefahr. ArcelorMittal will den restlichen Betrieb (Weiterverarbeitung von Stahl mit rund 2100 Arbeitern) aufrecht erhalten.

Doch was nützen Hochöfen ohne Weiterverarbeitungsmöglichkeit? Hier kommt die Verstaatlichung des gesamten Fabriksgeländes ins Spiel. Für das Paket gebe es angeblich schon zwei Interessenten, davon sei einer aus Frankreich. Für ArcelorMittal setzt es Drohgebärden bezüglich jeder Aktivität in der Grande Nation. "Wir wollen Mittal nicht mehr in Frankreich haben, weil sie Frankreich nicht respektiert haben", erklärte etwa der französische Industrieminister Arnaud Montebourg.

Das Problem seien nicht die Hochöfen, "sondern Mittal". Der Konzernchef Lakshmi Mittal hätte gelogen und Versprechen gebrochen, die er der Regierung gemacht hatte, als das indische Unternehmen Mittal 2006 den europäischen Konzern Arcelor (mit Werken in Frankreich) übernahm. ArcelorMittal wurde zum größten Stahlproduzenten der Welt. Die Minister unter dem damaligen konservativen Staatspräsidenten Jacques Chirac sprachen sich damals gegen eine Übernahme aus, doch Chirac lenkte später ein, da die nicht-französischen Aktionäre von Arcelor absprangen und sich Indiens Nachfrage nach französischen Waffen abkühlte.

Montebourg hielt es jetzt ebenso für klug, sich auf Twitter bei Mittal zu entschuldigen und zu erklären, dass der Konzern weiterhin in Frankreich tätig sein kann. ArcelorMittal beschäftigt 20.000 Menschen in Frankreich, einem Land, das mit 10,8 Prozent, der höchsten Arbeitslosenquote seit 13 Jahren, kämpft.

Kritiker sehen nun in der potenziellen Verstaatlichung in Florange schon eine neue Ära des Kollektivs wie unter dem sozialistischen Chirac-Vorgänger François Mitterand heranbrechen. "Hollande zeigt nun sein wahres Gesicht!", wettert die konservative britische Zeitung "The Telegraph". Doch Hollande kann auf Unterstützung auch bei der Opposition zählen. Der Konservative Jean-Louis Borloo, ehemaliger Umweltminister, erklärte gegenüber dem Radio: "Die Idee einer temporären Staatsübernahme erscheint nicht unangemessen." Die französische Stahlindustrie müsse am Leben bleiben.