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Frankreichs arme Superreiche

Von Peter Muzik

Wirtschaft

Viele Betroffene flüchten ins Schweizer Steuer-Exil.
| Der Grande Nation kommen die Multi-Millionäre scharenweise abhanden.


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Reinold Geiger, ein gebürtiger Vorarlberger, der seit 17 Jahren in Frankreich lebt, bleibt trotz sozialistischer Wahlsiege cool: Der 64-jährige Boss des Kosmetikunternehmens L’Occitane ist überzeugt, dass François Hollande "unbedingt pragmatisch agieren muss - und daher wird sich für die französische Wirtschaft nicht allzu viel ändern". Im Gegensatz zu Geiger, dem das US-Magazin "Forbes" ein Privatvermögen von 1,3 Milliarden Dollar attestiert, sind andere französische Superreiche vom neuen Präsidenten ganz schön aufgescheucht worden. Schon Ende Februar hatte Hollande nämlich mit dem Schlachtruf "Ich mag die Reichen nicht" angekündigt, den Spitzensteuersatz auf 75 Prozent erhöhen zu wollen. Derzeit beträgt die Steuerlast bei einem Jahreseinkommen über 70.000 Euro 41 Prozent.

Falls der Präsident mit der gefährlichen Drohung Ernst macht, all jene, die mehr als eine Million Euro verdienen, kräftig zur Kasse zu bitten und den Staat an den seiner Ansicht nach "exzessiven und manchmal schamlos hohen Bezügen" partizipieren zu lassen, dann werden vor allem bis zu 20.000 Multi-Millionäre brennen wie die Luster. Am härtesten wird es die ganz großen Kaliber treffen, die gleich mehrere Milliarden schwer sind und ihre Steuern noch in Frankreich berappen. Etwa Bernard Arnault, 63, Chairman, CEO und Großaktionär des Luxusgüter-Konzerns LVHM, zu dem Top-Marken wie Louis Vuitton, Hennessy oder Bulgari gehören. Obendrein besitzt er eine ausgedehnte Kunstsammlung, die Wirtschaftszeitung "Les Echos" und andere Medien sowie ein riesiges Weingut in der Bordeaux-Gegend.

Arnault gilt als Intimus von Nicolas Sarkozy, dessen Trauzeuge er vor 15 Jahren war. Mit einem geschätzten Privatvermögen von mehr als 30 Milliarden Euro zählt er zu den reichsten Menschen der Welt. Dass ein sozialistischer Präsident für ihn der absolute Horror ist, hat er schon einmal bewiesen: Als François Mitterand 1981 an die Macht kam, wanderte Arnault in die USA aus, um etwa in Palm Beach Ferienwohnungen zu errichten. Erst drei Jahre später kehrte er nach Frankreich zurück, wo der Aufstieg der heutigen Groupe Arnault begann.

© © WZ-Grafik/Moritz Ziegler, Quelle: WZ-Recherche, „Forbes“-Ranking „World‘s Billionaires 2012

Auch für Liliane Bettencourt, die demnächst 90 wird, geht es um die Wurst: Seit dem Tod ihres Vaters hält sie 27,5 Prozent am Kosmetikkonzern L’Orèal und wird in den einschlägigen Rankings seit Jahren als reichste Frau Europas gehandelt. Ins Gerede kam sie, als bekannt wurde, dass sie einem nahestehenden Fotografen im Laufe einiger Jahre fast eine Milliarde Euro in Form von Gemälden, Immobilien oder Schecks hatte zukommen lassen. Die Folge war ein langjähriger Erbschaftsstreit mit ihrer Tochter Françoise. Die beantragte letztlich, die alte Dame unter Vormundschaft zu stellen.

Nach einer kurzfristigen Aussöhnung, die von der Tatsache getrübt war, dass gerüchteweise illegale Parteispenden an Sarkozy in den Schlagzeilen auftauchten, kam es im Sommer 2011 erneut zu einem Familienkrach. Da ein Gutachter feststellte, dass Bettencourt an Gedächtnis- und Bewusstseinsstörungen leide, wurde ihr ältester Enkel vom Gericht zum Vormund bestellt. Das Vermögen, knapp 20 Milliarden Euro, wird nun von der Tochter verwaltet.

Das Stigma frustriert

Hollandes Ankündigung, den europaweit mit Abstand höchsten Spitzensteuersatz einführen zu wollen (siehe Grafik), blieb nicht ohne Resonanz: Laut Finanzdaten-Agentur Bloomberg bereiten sich zahllose Wirtschaftsleute der betuchten Art emsig darauf vor, der Grande Nation den Rücken zu kehren. Sie schauen sich etwa in London scharenweise nach geeigneten Immobilien in noblen Gegenden wie South Kensington um. Londons Bürgermeister Boris Johnson heißt sie willkommen: "Wenn Ihr Präsident die Jobs, die Chancen und das Wirtschaftswachstum, das Sie schaffen, nicht will - wir wollen es sehr wohl."

Viele der jüngeren Firmenchefs denken so wie der 30-jährige Jeremie Le Febvre, Gründer einer Pariser Investmentfirma, ernsthaft daran, demnächst auszuwandern (im konkreten Fall nach Singapur), weil sie diese Stigmatisierung von Reichtum nervt: "Erfolg und Ehrgeiz werden in diesem Land immer stärker abgelehnt."

Bernard Accoyer, Präsident der Nationalversammlung, warf Hollande, der in Mougins bei Cannes eine Villa besitzt, vor, er werde "die Reichen aus Frankreich verjagen". Sind laut Expertenschätzungen jährlich schon 1000 Franzosen abgewandert, ist jetzt ein Boom zu erwarten. "Die Reichen", konstatiert der Pariser Topanwalt Michel Collet, "haben es einfach satt, gebrandmarkt zu werden." Ihre bevorzugten Ziele scheinen vorerst Großbritannien, die USA und die EU-Hauptstadt Brüssel zu sein - der Zug Richtung Schweiz ist ohnedies längst abgefahren. Das östliche Nachbarland dient betuchten Franzosen aller Art, darunter der Schauspieler-Legende Alain Delon, als ideales Steuer-Exil.

Poker um Pauschalsteuer

Insbesondere französische Wirtschaftskapitäne haben sich in der Schweiz niedergelassen. Dort genießen sie - so wie der Mitinhaber des Haute-Couture-Hauses Chanel, der in Genf lebende Gérard Wertheimer - beträchtliche Steuerprivilegien.

Das Land, das sich mit einem an den Bund zu entrichtenden Spitzensteuersatz von 11,5 Prozent begnügt, wozu sich aber noch eine Kantons- und Gemeindesteuer in unterschiedlicher Höhe gesellt, bietet ihnen den Luxus, ihren Obolus de facto mit den Behörden vorab zu verhandeln. Die sogenannte Besteuerung nach Aufwand räumt Vermögenden, die im Alpenland offiziell nicht erwerbstätig sind, die Chance ein, nicht nach dem tatsächlich erzielten Einkommen, sondern gemäß einer pauschalen Schätzung der Lebenshaltungskosten besteuert zu werden. Konkret richtet sich die Bemessungsgrundlage nach dem Fünffachen des Mietzinses beziehungsweise des Mietwertes einer eigenen Villa - im Ausland erzielte Einkünfte sind völlig belanglos.

Diese 1999 ursprünglich für zugezogene Pensionisten gedachte Regelung wird zwar von Einheimischen, die nicht so gut behandelt werden, massiv abgelehnt, kommt jedoch milliardenschweren Wahl-Schweizern wie den Finanz-Zampanos Nathaniel und Benjamin de Rothschild ungemein gelegen. Zudem versuchen diese Herrschaften, auch vom eiskalten Steuer-Wettbewerb unter den Kantonen zu profitieren.

Zu den französischen Geldadeligen, die sich’s in der Schweiz richten können, zählen auch betagte Promis im Ruhestand wie zum Beispiel der Ex-Modeschöpfer Daniel Hechter. Sie haben sich längst vom Stress absentiert, ihr Lebenswerk ganz oder weitgehend verkauft und betätigen sich nun entweder als Verwaltungsräte, Kunstsammler oder als omnipräsente Fixsterne im internationalen Jetset.

Schweiz: Eldorado für Steuer-Sparer 
Das Magazin "Bilanz" hat kürzlich berichtet, dass bereits 44 Superreiche aus Frankreich aus steuerlichen Gründen die Schweiz bevorzugen.
Im eidgenössischen Exil fühlen sich beispielsweise der Finanzkrösus Benjamin de Rothschild, die Familie Peugeot oder der Taittinger-Clan, dem die gleichnamige Champagnermarke gehört, bereits seit Jahren weitaus wohler als in ihrer Heimat. Neben Multi-Milliardären wie Chanel-Aktionär Gérard Wertheimer, der rund vier Milliarden Euro schwer sein soll, haben etliche andere Top-Unternehmer der Grande Nation den Rücken gekehrt, deren Vermögen etwas geringer einzuschätzen ist – darunter die Eigentümer bzw. Gesellschafter von bekannten Unternehmensgruppen wie Hermès, Moulinex oder Carrefour. Die auf 250 Millionen Euro geschätzte Michèle Bleustein-Blanchet, deren Vater die Publicis-Werbegruppe gegründet hatte, zählt ebenso zu den steuerlichen Emigranten wie Pressezar Philippe Hersant oder der Hoteltycoon Paul Dubrule, Novotel-Gründer und Aktionär der Accor-Gruppe – beiden werden immerhin rund 150 Millionen Euro zugetraut.

Die reichen Franzosen befinden sich in der Schweiz, die es – gemessen an der Bevölkerung – mit 322.000 Franken-Millionären auf die weltweit höchste Dichte an Reichen bringt, in allerbester Gesellschaft: Viele der dort lebenden rund 400 Multi-Millionäre, die zumindest über ein Vermögen von mehr als 80 Millionen Euro verfügen, sind lediglich Wahlschweizer. Das Spektrum reicht vom schwedischen Möbelhändler Ingvar Kamprad, der es mit Ikea, Immobilien und Investments auf rund 30 Milliarden Euro gebracht hat, über den russischen Finanz-Zampano Viktor Vekselberg, dessen Beteiligungen etwa 10 Milliarden wiegen, bis zum britischen Formel-1-Kaiser Bernie Ecclestone, der über gut drei Milliarden verfügen soll.

Dass die Steuerlast im Alpenland bei weitem nicht so hoch wie in ihrer Heimat ist, wissen aber nicht nur Industrie-, Handels- und Banken-Größen wie der 77-jährige Ex-Konzernchef Carlo De Benedetti aus Italien, der holländische Textil-Dynastie Brenninkmeijer oder der indische Privatbankier Prakash Hinduja zu schätzen:
Auch hauptberufliche Erben wie die in Frankreich geborene Profi-Reiterin Athina Onassis de Miranda, Enkelin des legendären Griechen Aristoteles Onassis, oder die Nachfahren der hellenischen Reederfamilie Niarchos, Schwerverdiener wie die Autorennfahrer Michael Schumacher und Kimi Räikkönen sowie äußerst wohlhabende Witwen à la Heidi Horton und Eliette von Karajan blechen ihre Steuern bevorzugt in der Schweiz – auch wenn sie sich dort nur zeitweilig aufhalten.