Zum Hauptinhalt springen

Frankreichs diskrete Wein-Dynastie

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Wirtschaft

Die Familie Castel hält sich in der Öffentlichkeit dezent zurück, nur wenigen Franzosen ist ihr Name ein Begriff. Dabei ist ihr Unternehmen der größte Weinproduzent und -händler Europas.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Bordeaux. Sensationelle Geschichten über mittellose Tellerwäscher, die sich zu mächtigen Millionären hocharbeiten, spielen oft in den USA - eher selten in Frankreich. Wer hier Erfolg hat, stammt üblicherweise aus einer etablierten Familie, die nützliche Kontakte vermitteln kann. Das gilt auch und gerade für eine traditionsbewusste Stadt wie Bordeaux, wo der Weinanbau und -handel in der Regel fest in den Händen alteingesessener Familien liegen.

Vielleicht erscheint deshalb der Weg der Familie Castel so erstaunlich. Was 1947 als Abenteuer von neun Brüdern und Schwestern begann, ist heute Frankreichs und Europas größtes Wein-Imperium. Die Kinder eines aus Spanien eingewanderten Arbeiters in den Weinbergen des Bordelais, der Region um Bordeaux, gründeten damals zunächst ein Handelsunternehmen, um in Afrika Bier und Wein zu vertreiben. Bald folgten die Eröffnung erster Wein-Läden in Frankreich, der Kauf von Weinbergen, die vor Ort von Winzern bestellt wurden, die Ausweitung des Handels auf Produkte wie Öl, Mehl, Zucker oder Limonade in Afrika sowie die Erschließung immer neuer Exportmärkte.

Rasant wuchs das Familienunternehmen, in dem jeder seine Rolle hat. Und zwar bis heute, wo Gründer Pierre Castel noch immer an der Spitze steht, während zahlreiche Mitglieder der beiden nachfolgenden Generationen als Manager, Önologen oder Kellermeister arbeiten. "Genauso komplementär wie früher die Brüder und Schwestern Castel mit ihren unterschiedlichen Talenten sind es auch ihre Nachfahren heute", sagt Franck Crouzet, Leiter der Kommunikation - und ebenfalls ein Castel-Spross.

Stolz und Vorsicht

Erstaunlich an dieser Geschichte ist aber auch, dass es sich zwar um das führende Wein-Unternehmen Frankreichs und Europas handelt, das 250 Marken zählt, 1988 die Wein- und Spirituosen-Handelskette Nicolas gekauft und 2014 einen Umsatz von 1,1 Milliarden Euro gemacht hat. Insgesamt besitzt Castel 3300 Hektar Rebflächen, von denen 1400 in Frankreich liegen und 1900 im Ausland - auch in so untypischen Gebieten wie Marokko, Tunesien, Äthiopien oder China. Weltweit ploppt im Schnitt jede Sekunde 19 Mal der Korken einer Weinflasche von Castel.

Aber nur wenigen Franzosen ist der Name ein Begriff, der hinter den meistverkauften Marken des Landes, "Roche Mazet" und "Baron de Lestac", steht. Denn der Presse erlaubt die Familie nur selten einen Einblick. "Wir sind sehr diskret", erklärt der 89-jährige
Pierre Castel. Lieber als von sich selbst rede er von seinem Unternehmen, das "familiär und international zugleich" sei.

In den Stolz auf das Erreichte mischt sich Vorsicht - vielleicht vor Neidern oder Kritikern an einer Strategie, die darauf setzt, Weingenuss einer möglichst großen Zahl von Kunden zugänglich zu machen. Die Massenproduktion erlaubt günstige Preise; und das ausgerechnet im elitären Bordelais.

"Wein für alle Geldbörsen"

"Wir machen Wein für alle Geschmäcker und alle Geldbörsen", erklärt Alain Castel, Neffe des Gründers und Generaldirektor der Wein-Sparte. Zugleich werden über die Filiale "Châteaux et Domaines Castel" mehr als 200 Grands Crus vertrieben, also Edeltropfen. 2008 kaufte Castel in der Region Saint-Émilion das eingeschlafene Weingut Montlabert, um es "wieder aufzuwecken". Und um die Palette zu erweitern.

Eines der Leitmotive des Unternehmens, so Alain Castel, bestehe darin, "immer dort zu sein, wo man uns nicht erwartet" - das heißt, ständig neue Märkte zu erschließen. Ein Viertel der Produktion geht in den Export. Castel ist bereits in 130 Ländern präsent, und das Unternehmen verfolgt weiter einen ehrgeizigen Expansionskurs.

In Frankreich hat es in seinem Anwesen "Château Malbec" eine Seminarschule für Metiers in der Wein- und Gastronomiebranche aufgebaut. Auch finanzierte es den Bau des Projektes "Cité du Vin" in Bordeaux mit, einer Mischung aus Weinbaumuseum und Wein-Rundgang, das am 31. Mai durch den französischen Präsidenten François Hollande eingeweiht wird.

Zu neuen Trends gehören die Ausweitung der Bio-Produktion und der Auszeichnung mit dem Label "Terra Vitis" für nachhaltigen Weinbau. Oder die Zunahme der sogenannten Bag-in-Box-Verpackungen, also wiederverschließbarer Kartons statt der traditionellen Glasflaschen mit Korkverschluss.

Heute werden bereits 38 Prozent der Weine in Frankreich auf diese Weise abgefüllt. Auch in Castels größter Produktionsstätte in Blanquefort, einem Vorort von Bordeaux, nehmen sie zunehmend Platz ein. Hier am Firmensitz befindet sich der größte Weinkeller Europas, der zehn Meter hoch ist, 8800 Quadratmeter misst und bis zu 50.000 Fässer fassen kann. Größer, höher, weiter - dass Castel sich immer an Superlativen orientiert, gehört untrennbar zum Aufstieg dieser Dynastie. Und erklärt ihn mit.