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Frankreichs heiliges Experiment

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Präsident Emmanuel Macron will dem islamistischen Terror einen weichgespülten Islam entgegensetzen - und wird damit scheitern.


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Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron ist ja nicht gerade für seine Neigung zum Understatement bekannt. Think Big: So hat er sich jetzt auch vorgenommen, jene Probleme zu lösen, die der Islam in Frankreich in den vergangenen Jahrzehnten verursacht hat. Und die erst dieser Tage wieder grell sichtbar wurden: ein antisemitisch motivierter Mord eines mutmaßlichen Islamisten an einer greisen Holocaust-Überlebenden, ein islamistischer Terroranschlag mit vier Toten in Südfrankreich.

Erreichen will Macron sein Ziel nicht durch das Drehen an ein paar Schrauben hier und ein paar Schrauben da - nein, er will nicht weniger schaffen als "den Grundstein für die vollständige Neuausrichtung des Islam in Frankreich". Es sind richtig dicke Bretter, die der Präsident da bohren will - dagegen nimmt sich der Plan von Tesla-Chef Elon Musk, schon bald den Mars zu besiedeln, geradezu bescheiden aus.

Macron hat das Problem korrekt erkannt. Das wichtigste Ziel jenes Plans, den er noch im Laufe des Frühjahrs vorlegen will, ist sicherzustellen, dass für die in Frankreich lebenden Muslime die französischen Gesetze Vorrang vor dem islamischen Recht haben. Das klingt trivial, ist es aber nicht. Denn zwar bekennt sich in Umfragen etwa die Hälfte der im Land lebenden gut sechs Millionen Muslime zu einem eher gemäßigten Islam, doch ein knappes Drittel ist fest davon überzeugt, dass die von Gott gegebenen Gesetze über jenen der Republik stehen. Ungefähr gleich viele befürworten die Vielehe und vor allem die Vollverschleierung von Frauen in der Öffentlichkeit. Besonders alarmierend erscheint, dass der Anteil jener, deren Anschauungen jenen der Republik so massiv widersprechen, unter den jungen Muslimen besonders hoch ist.

Mit Maßnahmen, die dem österreichischen Islamgesetz von 2015 ähneln (etwa einem Verbot der Auslandsfinanzierung), will Macron dem Islam in Frankreich also gleichsam beibringen, das Parlament als höchste Gesetzgeber zu respektieren und die Gleichheit von Mann und Frau zu akzeptieren. Es ist dies eine Spielart des Islam, die meist "Euroislam" genannt wird und vor allem ein kleines Manko hat: dass sie eine Kopfgeburt europäischer säkularer Intellektueller ist, die in der freien Natur sofort eingeht.

So wurde in Berlin jüngst eine liberale Moschee gegründet, in der diese Prinzipien hochgehalten werden. Die Begeisterung in der muslimischen Welt darüber ist derart groß, dass die Polizei die Moschee und deren weiblichen Imam permanent beschützen muss, als wäre es eine jüdische Synagoge. Der Grund dafür ist sehr einfach: Wer den Islam so westlich-aufgeklärt reformieren will wie der "Euroislam", ist in der Sicht fast der gesamten islamischen Welt kein Moslem mehr, sondern ein vom Glauben Abgefallener, dem dafür Strafe gebührt.

Der namhafte muslimische Islamexperte Bassam Tibi, der den Begriff "Euroislam" einst in die Debatte eingeführt hatte, hat schon vor zwei Jahren resignierend festgestellt: "Ich kapituliere. Den Euroislam wird es nicht geben. Er war eine schöne Hoffnung, aber die Realität ist leider eine andere." Es ist nicht zu hoffen, aber stark zu erwarten, dass Frankreichs Staatspräsident diese Erfahrung auch noch machen wird.