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Frankreichs muslimische Malaise

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Politik

Die Behörden befürchten für Freitag auch Ausschreitungen im Inland.


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Paris. Marine Le Pen hat noch nie eine Gelegenheit verpasst, sich Gehör zu verschaffen. Auch diese nicht - die weltweiten Proteste gegen das Islam-Schmähvideo "The Innocence of Muslims" und die Empörung über die Mohammed-Karikaturen im französischen Satireblatt "Charlie Hebdo" sind eine Steilvorlage für die Rechtspopulistin. Sie warnt vor Investitionen des Emirats Katar in Frankreich "mit politischen Hintergedanken" ebenso wie vor Schulkantinen, die für Muslime hergestelltes Halal-Fleisch anbieten - Phänomene, die in ihren Augen die französische Gesellschaft unterwandern. "Morgen werden vielleicht nicht 250 Menschen demonstrieren, sondern 100.000", spielte sie auf eine unerlaubte Protestkundgebung mit 250 Teilnehmern am vergangenen Samstag in Paris an. Die Pressefreiheit sei nicht verhandelbar, sagte Le Pen, die sich Anfang des Jahres selbst über eine Karikatur in "Charlie Hebdo" empörte, in der sie als Kot-Haufen dargestellt wurde.

Mit ihrer offenen Islamkritik trifft die mediengewandte Vorsitzende der Front National einen Nerv in Frankreich. In der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen erzielte sie 17,9 Prozent der Stimmen. Le Pen profitiert auch von der Malaise ihrer Politikerkollegen im Umgang mit den rund sechs Millionen Muslimen, die in Frankreich leben. Diskussionen über nicht gekennzeichnetes Halal-Fleisch in Fleischereien oder die Verschleierung von Frauen arten schnell zu scharfen Polemiken aus. Eine von der Vorgängerregierung angestoßene "Debatte über nationale Identität" diente als Plattform weniger für konstruktive Beiträge als für islam- und ausländerfeindliche Parolen.

In diesem Klima werden die Karikaturen des Propheten als eine Beleidigung mehr aufgefasst. "In Frankreich sind immer die Muslime die Dummen", klagt der 22-jährige Samir, der am Samstag in Paris demonstriert hat, in der Zeitung "Libération". "Wer den Islam angreift, attackiert mich, meine Identität. Ich habe nur das. Keine Anstellung, meine Familie hat kaum Geld. Also lasst uns wenigstens in Ruhe unseren Glauben praktizieren."

Die Behörden befürchten allerdings, dass es nicht bei der Ruhe bleibt, zu der auch die Vertreter der muslimischen Gemeinschaft in Frankreich aufrufen. Nicht nur dass in rund 20 arabischen Ländern französische Botschaften, Konsulate und Schulen aufgrund des heutigen Freitagsgebetes geschlossen bleiben, auch in Frankreich sind die Sicherheitskräfte in Alarmbereitschaft. Spezialeinheiten bewachen die Redaktion von "Charlie Hebdo", Anträge auf Demonstrationen gegen den Anti-Islam-Film wurden abgelehnt. Man lasse nicht zu, dass Minderheitengruppen die aufgeladene Situation ausnutzen, um zu provozieren, erklärte Innenminister Manuel Valls. "Die Karikatur-Freiheit gehört zum Grundrecht der Meinungsfreiheit." Außenminister Laurent Fabius hingegen kritisierte die Karikaturisten dafür, "Öl ins Feuer zu gießen".