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Frankreichs neue Regierung sucht Vertrauen der Amerikaner

Von Hanns-Jochen Kaffsack

Politik

Paris - Die grauenvollen Fernsehbilder des 11. September 2001 riefen bei den Franzosen nicht nur Entsetzen, Mitleid und Gefühle der Ohnmacht hervor. Unter dem Schock vergaßen sie für eine gewisse Zeit auch ihre Kritik an dem "Vormachtgehabe" von US-Präsident George W. Bush. "Wir sind alle Amerikaner" - dieser Losung des Chefs der angesehen Pariser Tageszeitung "Le Monde" mochten aber ein, zwei Wochen später viele schon nicht mehr folgen. Und während Präsident Chirac den politisch-militärischen Schulterschluss mit dem Weißen Haus übte, feuerte der damalige sozialistische Außenminister Hubert Vedrine Breitseiten ab, weil ihm Bushs "Achse des Bösen" schlicht zu "simpel" gedacht war.


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Ein knappes Jahr später stehen die Franzosen etwas anders zu den USA. Zumindest am Rande war französisches Militär an den Aktionen der Amerikaner in Afghanistan beteiligt. Vor allem zeigte ein tödlicher Anschlag auf französische Schiffsingenieure in Pakistan, dass Paris mit Washington im Kampf gegen den Terrorismus in einem Boot sitzt. Das Bewusstsein, ebenfalls gefährdet zu sein, hat sich unter Franzosen noch verstärkt. "Wir müssen suchen, was uns vereint, und weniger den Finger auf die Wunde legen", so heißt die neue außenpolitische Devise in Paris nach den Wahlen in Frankreich.

Die neue konservative Regierung von Premierminister Jean-Pierre Raffarin sucht im Einklang mit Staatschef Chirac ein vertrauensvolleres Verhältnis zu den USA. "Das ist das erste, was ich US-Außenminister Colin Powell gesagt habe, für den ich große Wertschätzung empfinde", macht Außenminister Dominique de Villepin die Pariser Gangart deutlich. "Wir müssen zusammenarbeiten, wir müssen Lösungen suchen", so wirbt der USA-Kenner für engere Kontakte zwischen den Atommächten über den Atlantik hinweg. In einem "Le Monde"-Interview zeigte Villepin unlängst vollstes Verständnis für das schwere Trauma, das der 11. September bei den Amerikanern hinterlassen hat: "Ganz brutal sind sie mit einer neuen Verwundbarkeit konfrontiert worden." Pariser Zeitungen wie der konservative "Le Figaro" hält das aber keineswegs davon ab, Bush weiterhin abzukanzeln, weil er Europa zu einem "Vasallen" degradiere.

Paris ist zwar nach wie vor felsenfest überzeugt, dass eine rein militärische Sicherheitspolitik a la Afghanistan oder ein möglicher Militärschlag gegen den Irak keine "friedliche und stabile Weltordnung" bringen wird. In einem US-Machtexzess und auch in Bushs Formel von der "Achse des Bösen" sieht der Quai d'Orsay heute weniger ein Problem als die frühere Linksregierung: "Was uns heute bedroht, das ist vielmehr der Mangel an Regeln und Orientierung, die internationale Gemeinschaft übernimmt zu wenig Verantwortung." Sogar mit Blick auf den Irak versteht Frankreich die US-Sorgen, auch wenn sie Paris nicht dazu veranlassen, für einen Angriff zu plädieren.

Bei aller Kompromissbereitschaft und allem neuen Verständnis für Washington bleibt die Tatsache, dass der Lauf der Dinge an der Seine des Öfteren anders gesehen wird als in der Machtzentrale am Potomac. "Wir werden unsere Vision einer Welt, die moralischer und ethischer ist, verteidigen", heißt es dazu im französischen Außenministerium. Ein von Villepin gesuchter Schulterschluss mit seinem deutschen Amtskollegen Joschka Fischer verdeutlicht nur, dass Paris dabei ein "europäisches" außenpolitisches Denken meint, also nicht etwa nur ein französisches.