Sarkozy hat alle Trümpfe in der Hand. | Opposition so gut wie nicht existent. | Medienecho fällt leise aus. | Paris/Wien. Ein Erdrutschsieg bei den französischen Parlamentswahlen dürfte dem neu gewählten Präsidenten Nicolas Sarkozy demnächst eine solide Basis für seine künftige Politik bieten. Bis zu drei Viertel der Abgeordneten werden der konservativen Union für eine Volksbewegung (UMP) bei den Wahlen am 10. und 17. Juni prognostiziert.
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Verwundert ist darüber niemand so richtig, denn die Opposition ist derzeit so gut wie nicht existent. Einerseits stecken die anderen Großparteien nach der Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen in einer tiefen Krise. Andererseits hat Sarkozy viele früheren Kontrahenten in seine Regierung geholt. Wozu also über Umwege dasselbe wählen, fragt sich so mancher Franzose.
Besonders augenscheinlich wird die Misere bei der zentrums-liberalen UDF. Die Partei ist seit den Präsidentschaftswahlen im Mai gespalten und existiert de facto nur mehr auf dem Papier. Noch bevor sie überhaupt ihre Gründungsparteitage abhalten konnten, treten die beiden Nachfolgefraktionen bei den Parlamentswahlen getrennt an. 22 der derzeit 29 Parlamentsabgeordneten der UDF hat Sarkozy in sein Boot lotsen können, die sich um die Partei Neues Zentrum scharen. Deren Chef, Hervé Morin, musste sogar auf Freunde und Verwandte zurückgreifen, um zumindest eine angemessene Infrastruktur für seine neue Partei einzurichten.
Der Wechsel macht sich bezahlt: Dafür, dass die neue Partei im Verbund mit der UMP bei den Parlamentswahlen antritt, wurden ihr angeblich mindestens 25 Mandate im Parlament versprochen. Keine schlechten Aussichten also für die 80 Kandidaten der Jungpartei. Schließlich gibt es insgesamt 7639 Aspiranten auf die begehrten 577 Sitze im Parlament. Auch Morin hat es nicht schlecht getroffen, nachdem ihn Sarkozy mit dem Amt des Verteidigungsministers bedacht hat.
Viel düsterer sieht es für den zweiten UDF-Ableger aus, der unter dem Präsidentschaftskandidaten François Bayrou und mit dem Namen Mouvement Democrate (MoDem) ums nackte Überleben kämpft. Zwei bis sechs Abgeordnete sagen die Umfragen den Kandidaten der MoDem voraus. Selbst der Parteichef scheint die kommende Wahl bereits abgehakt zu haben und erklärte unlängst: "Wir befinden uns am Anfang eines langen Wegs".
Sozialisten erneut schwer gespalten
Die Sozialisten haben ebenfalls wenig zu lachen nach der deutlichen Niederlage Ségolène Royals bei der Präsidentschaftswahl. Keine Minute war nach der Verkündung des Ergebnisses vergangen, als bereits der erste Partei-Dinosaurier begann, die oberflächlich verheilte Wunde der an sich gespaltenen Partei wieder aufzureißen. Polit-Veteran Dominique Strauss Kahn ließ in einem Fernsehinterview kein gutes Haar an Royal und erklärte, wenig überraschend, einen Weg aus dem ganzen Schlamassel zu wissen. Sehr zum Ärger eines anderen sozialistischen Schwergewichts. Geradezu flehend forderte Ex-Premier Laurent Fabius seine Parteikollegen dazu auf, interne Streitigkeiten erst nach der Wahl auszutragen.
Ein weiterer Polit-Grande der Sozialisten hat bereits das sinkende Schiff verlassen: Ex-Gesundheitsminister Bernard Kouchner hat sich unter die Fittiche Sarkozys begeben und von diesem zum neuen französischen Außenminister ernennen lassen.
Zu allem Überfluss erschien dieser Tage ein von Journalisten der renommierten Tageszeitung "Le Monde" verfasstes Skandalbuch, das Royal und ihren Lebensgefährten François Hollande in ein schiefes Licht rückt. So soll Royal unter anderem den Vater ihrer vier Kinder regelrecht erpresst haben, ihre Kandidatur zu unterstützen. Hollande, dem amtierenden Parteichef der Sozialisten, ist das ganze offensichtlich schon zu viel. Er hat erklärt, dass er sein Amt zur Verfügung stellen werde - für das sich nun übrigens Royal angemeldet hat.
Frontenwechsel, Grabenkämpfe und Skandale tragen das ihrige dazu bei, dass es der Parti Socialiste an Glaubwürdigkeit mangelt und sie zerrüttet ist wie vor der kurzen Ära Royal. Der Partei haftet geradezu ein Loser-Image an, das viele potentielle Wähler verschreckt.
Nur geringes Interesse am Urnengang
Der überragende Sieg der UMP ist derzeit also so etwas wie ein offenes Geheimnis in Frankreich. Einerseits profitiert die Partei von der Zufriedenheit der Franzosen mit ihrem neuen Präsidenten, der seit seiner Wahl auf der Beliebtheitsskala der Franzosen täglich weiter zulegt. Andererseits tragen die autokratischen Züge Sarkozys das ihrige dazu bei, den Eindruck zu erwecken, dass die Zukunft Frankreichs bereits entschieden ist und die Abgeordneten nicht einmal mehr im politischen Nanobereich etwas bewirken können. Viel, vermutet so mancher der 44 Millionen Wahlberechtigten, dürfte sich mit den gewählten Abgeordneten ohnedies nicht ändern.
Dementsprechend ist das Echo in den Medien. So laut der Präsidentschaftswahlkampf hinausposaunt wurde, so leise werden nun die Legislativen gespielt. Knapp eine Woche vor dem Urnengang schaffte es die Wahl an manchen Tagen nicht einmal mehr auf die Titelseite der Zeitungen.
Wer aber glaubt, dass sich die UMP angesichts dieser günstigen Situation zurücklehnt und der Zukunft gelassen entgegenblickt, irrt gewaltig. Denn das Leistungsprinzip Sarkozys gilt auch für die eigenen Minister, die sich in ihren Wahlkreisen dem Votum des Volkes stellen. "Wer in seinem Wahlkreis verliert, muss von seinem Amt zurücktreten", erklärte unlängst das Wahlkampf-Zugpferd der UMP, Premierminister François Fillon. Das gelte natürlich auch für ihn selber. Denn schließlich stehen in der Ära Sarkozy große Reformen an. Der Arbeitsmarkt soll flexibler gestaltet, die Sozialpolitik des Landes umstrukturiert und der Staatsapparat abgemagert werden. Und dafür kann der Rückhalt gar nicht groß genug sein.
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