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Frankreichs Sozialisten machen einen entscheidenden Linksruck

Von Christian Giacomuzzi

Politik

Paris - Die schmerzliche Niederlage ihres Kandidaten Lionel Jospin im ersten Durchgang der Präsidentenwahl ist Frankreichs Sozialisten (PS) eine Lehre gewesen. Nachdem Jospin in den Wochen vor dem Urnengang wiederholt betont hatte, dass er nicht ein sozialistisches Programm, sondern ein "Programm für alle Franzosen" vertrete, hat sich die PS-Leitung nun zu einem kräftigen Linksruck entschieden.


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Nur wenige Tage nach dem zweiten Durchgang der Präsidentenwahl genehmigte der PS-Nationalrat das von der ehemaligen Arbeits- und Sozialministerin Martine Aubry ausgearbeitete Parlamentswahlprogramm, das den viel sagenden Titel "Für den Fortschritt mit der Linken" trägt. Zentrale Themenschwerpunkte sind die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der sozialen Ausgrenzung, die Kontrolle der Wirtschaftsglobalisierung, die Verstärkung der Kaufkraft der französischen Haushalte, sowie die Verteidigung des öffentlichen Dienstes und das Einfrieren der Privatisierungen.

Damit alle Bürger in den Genuss der Früchte eines eventuellen Wirtschaftswachstums kommen, soll der gesetzliche Mindestlohn SMIC künftig an die Wachstumsrate angepasst werden, heißt es in dem Wahlprogramm der bisherigen Regierungspartei.

Nicht vergessen wurden in dem Programm auch die Verstärkung der Sicherheitskräfte und der Justiz zur Garantie der inneren Sicherheit. Das Thema sei allerdings "ohne Demagogie" in Angriff genommen worden, betonte Martine Aubry und kritisierte damit indirekt Präsident Jacques Chirac (RPR), der das Thema Sicherheit im Präsidentschaftswahlkampf zu seinem Steckenpferd gemacht hatte.

"Wir haben versucht, stärker auf die sozialen Fragen zu reagieren. Es ist ein Programm, das versucht gerechter zu sein in Bezug auf die Erwartungen der Gesellschaft, die seit zwei Wochen an uns herangetragen wurden", erklärte Martine Aubry diese entschiedene Linkswende. Für Marie-Noelle Lienemann, Vertreterin des linken PS-Flügels, zielt dieses Programm "auf die Zurückeroberung der Arbeiterklassen" ab, die im ersten Durchgang der Präsidentenwahl massiv für den Chef der rechtsextremen "Nationalen Front" (FN), Jean-Marie Le Pen, votiert hatten.

Dennoch haben sich die Sozialisten darum bemüht, das Programm nicht als einen "Bruch" mit dem ausgeschiedenen Präsidentschaftskandidaten und ehemaligen Premier Jospin erscheinen zu lassen. Es gehe vielmehr darum, die Errungenschaften der fünf Jahre Linksregierung noch weiter zu festigen. So wurde etwa Jospins Wahlversprechen, die Zahl der Beschäftigungslosen in fünf Jahren um 900.000 Personen zu vermindern, beibehalten, allerdings angereichert durch Maßnahmen zur Armutsbekämpfung und zur Anhebung der Kaufkraft.

Im Bereich der Beschäftigung will sich die Sozialistische Partei künftig nicht mehr damit begnügen, Posten zu schaffen, sie will gleichzeitig auch die prekären Jobs durch stabile ersetzen. Zu dem Zweck sollen jene Privatbetriebe "bestraft" werden, die eine zu große Anzahl befristeter Arbeitsverträge abschließen. Mit Bußen haben auch jene Unternehmen zu rechnen, die ihre Produktion in Länder mit niedrigeren Lohnkosten verlegen.

Weitere Themenschwerpunkte des PS-Programms sind die endgültige Einführung der von Martine Aubry geschaffenen 35-Stunden-Woche für alle Lohnempfänger, sowie die Beibehaltung des allgemeinen Rentenalters von 60 Jahren. Jene Arbeiter, die früher vierzig Beitragsjahre erreichen, können laut Wahlprogramm ohne finanzielle Einbußen vorzeitig die Altersrente antreten.