Zum Hauptinhalt springen

Frankreichs weibliches Terrorkommando

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Politik

Erstmals war es eine Frauengruppe, die Anschläge plante: Attentate auf Notre-Dame und einen Pariser Bahnhof.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Paris. Ein nettes Mädchen war sie, etwas schüchtern und burschikos. Als Teenager kleidete sich Inès M., die dritte von fünf Töchtern eines Busfahrers und einer Krankenpflegerin, wie jede andere junge Französin - bis sie sich vor etwa drei Jahren plötzlich verschleierte. Und zuletzt kaum mehr aus dem Haus ging. So beschreibt eine Nachbarin in der ruhigen Wohnhaussiedlung in Tremblay-en-France, 30 Kilometer nördlich von Paris, die junge Frau, die in der vergangenen Woche ein Blutbad anrichten wollte.

Nach einem gescheiterten Autobomben-Anschlag bei der Kathedrale Notre-Dame wurde die 19-jährige Inès M. am Donnerstagabend mit zwei Komplizinnen in einem Vorort von Paris festgenommen. Laut Staatsanwalt François Molins standen sie unmittelbar vor einem Attentatsversuch auf einen Pariser Bahnhof. M. wurde angeschossen, nachdem sie und die 23-jährige Sarah H. sich mit Messern bewaffnet auf die Polizisten gestürzt und einen Beamten verletzt hatten. Molins sprach von einem "extrem entschlossenen" Frauen-Kommando.

Frauen als Teil der IS-Strategie

In einem Brief, den M. bei sich trug, schwört sie dem "Islamischen Staat" (IS) die Treue und droht ihren "Feinden": "Ich greife euch auf eurem Boden an, um euch zu terrorisieren."

Für Frankreich werden islamistische Anschläge zu einer bitteren Gewohnheit - doch erstmals handelte es sich um Täterinnen. Um junge Frauen, teilweise Mütter, die nicht weniger extrem denken und handeln als Männer. 275 der 689 Franzosen, die sich laut Innenministerium im syrisch-irakischen Grenzgebiet aufhalten, sind weiblich. Derzeit laufen 59 Ermittlungsverfahren gegen Frauen wegen Terrorverdachts. "Man geht immer davon aus, dass die Frau ein Opfer ist und unfähig, Gewaltakte auszuführen", sagt die auf Dschihadistinnen spezialisierte Soziologin Carole André-Dessornes. Dabei sei deren Engagement für den IS keinesfalls neu und sogar Teil einer Strategie - denn die Taten von Terroristinnen schockierten besonders und erzeugten höhere Medienaufmerksamkeit.

M.s Ausreisepläne nach Syrien waren den Behörden ebenso bekannt wie ihre Verbindungen zu belgischen Dschihadisten. Nachdem sie die Schule abgebrochen hatte, verbrachte sie ihre Tage zu Hause vor dem Computer. Auf der Festplatte fanden die Ermittler brutales Propagandamaterial des IS. Ihr Vater, der 2008 selbst wegen Radikalisierung aufgefallen war, hatte der Polizei ihr Verschwinden gemeldet - und das seines Autos.

Gemeinsam mit der 29-jährigen Ornella G. hatte M. das Auto in der Nacht zum Sonntag vor einer Woche unweit der Kathedrale Notre-Dame geparkt. Im Kofferraum befanden sich fünf gefüllte Gasflaschen, drei Dieselkanister, eine mit Benzin getränkte Decke und eine angebrannte Zigarette, aber kein Zünder.

Radikalisierung im Netz

Weil die Warnblinkanlage lief, wurde das Auto bald ausfindig gemacht. Schnell führte die Spur zu M. und G., die ihre Fingerabdrücke hinterlassen hatte und deren Radikalisierung bekannt war. Während sie und ihr Mann, mit dem sie drei Kinder hat, noch am Dienstag in Haft kamen, blieb M. unter Beobachtung. Sie traf mit Sarah H. zusammen - einer 23-Jährigen aus Südfrankreich, eine Katholikin, die Ende 2014 konvertiert und im März 2015 in der Türkei aufgegriffen worden war. Mehreren Dschihadisten soll sie via Internet die Ehe versprochen haben: Nach Larossi Abballa, der am 13. Juni ein Polizistenpaar in einem Pariser Vorort erstochen hat, wollte sie Adel Kermiche heiraten, einen der beiden Mörder eines katholischen Priesters in einer Kirche bei Rouen.

Festgenommen wurden sie und M. vor dem Wohnhaus der 39-jährigen Amel S. im Pariser Vorort Boussy-Saint-Antoine; auch deren 15-jährige Tochter kam in Untersuchungshaft. Die vierfache Mutter S., die den Behörden nicht bekannt war, soll sich ebenfalls über das Internet radikalisiert haben.

In dem verstörenden virtuellen Netzwerk stießen die Ermittler auch auf Verbindungen zu Hayat Boumeddiene, der Freundin von Amédy Coulibaly, der im Januar 2015 eine Polizistin und vier Kunden in einem jüdischen Supermarkt erschossen hatte. Boumeddiene war noch vor seiner Tat nach Syrien ausgereist. "Seid für eure Ehemänner, Brüder, Väter, Söhne, sichere Stützen und gute Ratgeberinnen", schrieb sie in den einschlägigen Netzwerken - und erreichte mit ihrer radikalen Botschaft Frauen, die nicht nur Männer stützen, sondern selbst morden wollten.