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Frankreichs Wille zur 6. Republik

Von AnalyseAlexander U. Mathé

Europaarchiv

Die Übermacht des Elysées ist vielen ein Dorn im Auge. | Verhältnisstatt Mehrheitswahlrecht? | Frankreich blickt einer neuen Ära entgegen. Gleichgültig, wer das Rennen um das Präsidentenamt gewinnen wird: Es stehen große Reformen ins Haus. Und da wollen die Kandidaten offenbar direkt bei sich selbst ansetzen.


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Die Übermacht des Elysées ist einer Vielzahl an Politologen und Juristen nämlich ein Dorn im Auge, die eine Schwächung des Präsidenten zugunsten des Parlaments wollen. Mancherorts werden bereits Rufe laut nach einer neuen Sechsten Republik, die die aktuelle Fünfte ablösen soll. Daher sind sich die Kandidaten darin einig, dass sie nach der Wahl tiefgreifende Umwälzungen im Staatswesen durchsetzen und sich selbst entmachten werden.

Der Großteil der französischen Jugend hat nur zwei Präsidenten kennen gelernt: François Mitterrand und Jacques Chirac, die während des letzten Vierteljahrhunderts das Geschick ihres Staates gelenkt haben. Daher will der konservative Aspirant auf das höchste Amt im Staate, Nicolas Sarkozy, die Anzahl der Mandate für den Präsidenten auf zwei Amtszeiten beschränken. Sein zentrums-liberaler Rivale, François Bayrou, geht da etwas weiter. Er will dem Präsidenten nur das Recht auf eine einzige Amtszeit gewähren und gleichzeitig das Parlament stärken. Zudem soll es künftig nicht mehr möglich sein, dass die Exekutive, zu der in Frankreich der Präsident und die Minister zählen, Vorschriften in Gesetzesrang erlassen.

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Die Sozialistin Ségolène Royal wiederum will, dass der Präsident einmal jährlich Rechenschaft vor dem Parlament ablegen muss. Gleichzeitig soll die Macht der Minister ausgebaut werden, die derzeit unter dem Kommando des Präsidenten stehen, der auch den Vorsitz im Ministerrat führt.

Sogar wenn die Regierung politisch anders gefärbt ist als der Präsident, bleibt diesem zum einen die Möglichkeit, Neuwahlen anzusetzen und zum anderen eine Unzahl von Druckmitteln wie beispielsweise die Besetzung von Führungspositionen in öffentlichen Ämtern, für deren Ernennung die Zustimmung des Präsidenten nötig ist. Doch nicht nur das Präsidentenamt steht zur Diskussion. Bayrou und Royal wollen das Eilverfahren zur Genehmigung von Regierungsgesetzesentwürfen abschaffen, mit dem es möglich ist, diese ohne Parlamentsdebatte durchzupeitschen.

Auch das Wahlrecht an sich soll geändert werden - von einem Mehrheitswahlrecht hin zu einem Verhältniswahlrecht. Nachdem diese Forderung lange Zeit nur von Bayrou und Royal zu hören war, konnte man letztlich aus Sarkozy-Kreisen entsprechende Vorstöße vernehmen.

Dies brachte dem Ex-Innenminister den Vorwurf ein, eine Absprache mit der Nationalen Front getroffen zu haben, die derzeit aufgrund des Mehrheitswahlrechts keine Chance hat, eine nennenswerte Rolle im Parlament zu spielen.

Dennoch bleibt die Umstellung auf das Verhältniswahlrecht eine heikle Angelegenheit. Schließlich war es verantwortlich für das Scheitern der Vierten Republik. In ihrer zwölfjährigen Geschichte gab es 25 mehr oder weniger handlungsunfähige Koalitionsregierungen, was schließlich die heute gescholtene Fünfte Republik auf den Plan gerufen hat, die sich seit immerhin 50 Jahren gut hält.