Franz Olah, der große alte Mann der österreichischen Zeitgeschichte, über die Sozialdemokratie, die Bawag und über Himmel und Hölle.
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Wiener Zeitung: Nach all dem Elend, das Sie aus der Zwischenkriegszeit und nach dem Weltkrieg gekannt haben, ist Österreich heute eines der reichsten Länder der Welt ...Franz Olah: . . . und wir stünden hervorragend da, wenn wir in manchen Dingen nicht so dumm wären. Wir sind nicht fähig, aus den Dingen wirklich etwas zu machen, vermurksen die Hälfte.
Wo?
Auf jedem Gebiet, leider. Und dabei wäre es so verlockend zu sagen: Die bessere Lösung soll man machen. Aber in Wahrheit hat man immer noch nicht gelernt, mit der Demokratie umzugehen. Es spricht noch immer die politische Abneigung, manchmal sogar der politische Hass. Hass macht blind. Ich war auch einmal in Gefahr zu hassen, aber ich bin rechtzeitig davon weggekommen. Es macht blind und bringt gar nichts.
Herrscht noch immer zu viel Lagerdenken?
Nach 45 hat es so ausgeschaut, als ob es besser würde. Nach den fürchterlichen Erfahrungen, als wir alle gesagt haben: Wenn wir noch einmal Gelegenheit dazu haben, dann wollen wir es gescheiter machen. Ich war zu jung vor dem Zweiten Weltkrieg, aber die anderen waren schon maßgebend beteiligt. Dann waren wir mitein-ander eingesperrt. Da ist dann vieles gescheiter gemacht worden. Aber die Voreingenommenheiten sind in Österreich etwas Schreckliches, die kann man nicht ablegen. In den ersten Jahren des Aufbaus war auch nicht alles Liebe und Waschtrog, aber die gemeinsame Blickrichtung war da.
Fehlt die Auseinandersetzung um ein gemeinsames Ziel?
Man kann das alles auf anständige Art und Weise machen. Man kann die härtesten Diskussionen führen und muss nicht beleidigen. Die persönlichen Beleidigungen sind das Schlimmste.
Über Sachliches wird aber gar nicht so viel gesprochen.
Weil die meisten, auch die Politiker, in Wahrheit die sachlichen Dinge nicht beherrschen. Sie sind zu oberflächlich und glauben, wenn der liebe Gott ein Amt gibt, gibt er auch den Verstand dazu. Manchmal hat er aber nur wenig davon vorrätig.
Warum will jemand in ein Amt, von dem er nichts versteht?
Gerade die, die nichts davon verstehen, wollen in ein Amt. Ich habe mich oft gefragt, warum manche im Parlament sitzen, die nicht im Geringsten von Sachkenntnis angekränkelt sind, sondern nur Propagandareden schwingen. Das ist immerhin nicht schlechter geworden. Das Niveau ist sogar gestiegen. Die Menschen sind naturgemäß intelligenter geworden. Das kann man gar nicht verhindern.
In Ihrer politischen Heimat, der Sozialdemokratie, gibt es mittlerweile große Brüche.
Das ist in jeder großen Partei unvermeidlich. Man kann nicht so viele Menschen über einen Leisten schlagen. Da gibt es die vielfältigsten Differenzen. So wie der frühere VP-Bundeskanzler Klaus später einmal zu mir gesagt hat: Es wäre Zeit, per Du zu sein, denn in Wahrheit haben wir in der Politikauffassung mehr gemeinsam gehabt, als mit den eigenen Parteileuten. Gestritten haben wir uns, dass es gekracht hat.
Gestritten wird jetzt in der SPÖ - etwa Häupl gegen Gusenbauer.
Gusenbauer tut mir irgendwie leid. Er kann nicht gewinnen. Das hängt nicht von der Zeit ab, er ist einfach nicht prädestiniert dazu. Er ist ein intelligenter Mann, aber er ist als Führungskopf nicht sehr befähigt. Er ist eher ein Denker in der zweiten Reihe, nicht der Tribun. Das ist der Schüssel auch nicht, aber der ist der bessere Taktiker.
Die SPÖ hat aber schon länger Schwierigkeiten mit ihren Spitzen.
An den Schwierigkeiten mit den Spitzenmännern ist Kreisky mit schuld gewesen. Er hat keinen Nachfolger aufgebaut. Sinowatz ist ein hochanständiger Mann, aber der Posten war für ihn drei Nummern zu groß, darunter hat er selbst sehr gelitten. Es ist schon so, dass große Männer kleine Nachfolger haben wollen. Die Nachfolger waren für Kreisky alle Rivalen: Androsch, Fischer, Blecha, Gratz.
Und er hat einen nach dem anderen verloren.
Androsch ist ein sehr talentierter Mann, auch in der Wirtschaft. Er wäre in der Partei nicht sehr glücklich geworden. Die wollen in Wahrheit dort keine Multitalente. Es gibt in jeder Partei hervorragende Menschen. Sie kommen aber nur sehr selten an die Spitze.
Ist daran der Normalneid innerhalb einer Gruppe schuld oder die Angst in einer Partei, dass ein Einzelner die Macht in der Hand haben könnte?
Ja, die Angst, dass jemand die Macht nicht nur in die Hand bekommt, sondern dass er sie auch gebraucht - das ist das Schlimme. Das hat man auch bei mir am meisten gefürchtet. Nach meinem Sturz hat mich ein Rechtsanwalt eingeladen und zu mir gesagt: Es war absolut notwendig, dass Sie gestürzt wurden. Wieso?, fragte ich, ich habe doch die Verfassung, die Gesetze eingehalten. Ja schon, antwortete er. Aber Sie haben sie bis an den Rand ausgeschöpft. Das ist in Österreich nicht üblich. Ich sitz aber doch nicht da, um Zeitung zu lesen, sondern um etwas zu bewirken. Wille zur Macht? Ja natürlich, weil ich etwas bewegen will!
Sie haben als "Volkstribun" gegolten. So etwas gibt es heute doch auch nicht mehr.
Davon haben wir in der ersten Republik mehr gehabt. Da waren eine ganze Menge auf beiden Seiten, die eine wirkliche Bindung mit dem Volk hatten. Jetzt gibt es sehr wenige. Aber man muss schon zufrieden sein, wenn man gescheite, fähige Leute hat. Die Entwicklung hat es mit sich gebracht, dass viele austauschbar geworden sind. Das ist eine Folge der heutigen Bindungslosigkeit, zum Teil auch eine Folge des Wohlstands.
Das heißt aber, dass die Demokratie uninteressanter wird, je besser es uns geht. Ist das nicht eine gefährliche Entwicklung?
Nein, solange nicht ein gewissenloser Demagoge wieder Massen hinter sich bringen kann, solange ist das nicht gefährlich. Gegenwärtig kann man sagen, dass keiner so gefährlich ist, dass er Massen hinter sich bringen könnte. Und dass damals Hitler mit seiner primitiven Demagogie so viele Menschen hinter sich versammeln konnte, daran war das Elend schuld. Wie groß es war, ist den Menschen heute fast unmöglich klar zu machen, die schauen einen an, als ob sie ein Märchen aus 1001 Nacht hörten. Ich würde es auch nicht glauben, wenn ich es nicht erlebt hätte.
Die Veränderung in den letzten 50 Jahren ist aber auch unvor stellbar rasant vor sich gegangen.
Ja, relativ rasch. Und es geht alles so schnell, dass die meisten nicht mehr mitkommen. Radio, Fernsehen, Internet, Computer. Der Tag ist zu kurz. Man liest nicht mehr, Zeitungen wird man bald nicht mehr brauchen. Es gibt eine andere Sprache, eine andere Musik, ein anderes gesellschaftliches Leben. Das größte Problem ist die Sprachbarriere zwischen den Generationen. Die Sprache der Jungen wird von den Älteren nicht mehr verstanden. Es ist ja auch eine andere Art, ein anderer Klang, ein anderer Ton. Früher haben sich solche Veränderungen, die jetzt in Jahren geschehen, über Jahrzehnte erstreckt.
"Aufbaupolitiker" hatten das, was man heute Visionen nennt. Erkennen Sie in der heutigen Politik noch Visionen?
Man denkt nicht mehr darüber nach, wie es weitergehen soll. Man denkt - wann kommt die nächste Handygeneration, was wird auf dem Gebiet der Computer alles passieren und was kann man noch machen, damit man schneller mehr Geld verdient. Wenn ich mir die Vorstellungen von jungen Menschen anschaue, wie man schnell Geld verdient - das ist schaurig.
Das wird Ihnen auch vorgeführt.
Richtig. Wenn Sie jetzt lesen, was bei der Bawag passiert ist - ich traue mich gar nicht zu fragen, wie manche das aufnehmen. Das ist ja nicht mehr mit normalen Maßstäben zu messen. Es kann ja nicht jeder eine Vision haben wie der Herr Elsner. Dass das überhaupt möglich ist, erstaunt mich am meisten. Das ist eine solche Riesenportion Dummheit, wie ich sie niemandem zugetraut habe. Was man sich heutzutage alles an Leichtfertigkeit, Oberflächlichkeit und Anmaßung leisten kann, das geht ins Märchenhafte.
Und das bei einem Bawag-Eigentümer wie dem ÖGB.
Der ist ja kein Jota besser, eher schlechter. Wenn das Berufsspekulanten wären, aber das ist ja nicht der Fall. Sie sind auch keine Erzkapitalisten. Das ist nur grenzenlose Dummheit. Diese Penthäuser grenzen an einen Luxus, den sich früher nicht einmal die Aristokratie geleistet hat.
Es hat große Aufregung darum gegeben, dass sozialistische Spitzengewerkschafter nicht mehr in den Nationalrat dürfen. Sind diese Funktionen vereinbar?
Die Funktionen sind vereinbar. Aber nicht der Doppelbezug. Ich habe als Gewerkschaftspräsident und Abgeordneter nur mein Gehalt vom Parlament genommen und bei den Abgeordneten darauf gedrängt, dass auch sie ihr Gewerkschaftsgehalt zurücklegen. Man kann nur 24 Stunden arbeiten. Und ich habe immer gesagt: Gewöhnt Euch nicht an so viel Geld. Das ist nach meinem Weggang wieder anders geworden. Jetzt fangt man wieder an, darüber zu diskutieren. Das G´riss nach den beiden Funktionen wäre sicher nicht so groß, wenn es nicht doppeltes Geld gäbe.
Sie sind einer der Väter der Sozialpartnerschaft. Die sehen manche durch die jetzige Schwäche des ÖGB am Ende.
Ich hoffe, dass sie in irgendeiner Form weiterleben wird. Denn sie bedeutet ja nichts anderes, als dass man die Probleme nicht auf der Straße löst, sondern am Verhandlungstisch. Streiks können manchmal notwendig sein - wenn sie nicht lange dauern. Man bewirkt aber nichts damit. Das Einkommen wird nicht besser, sondern schlechter. Und der Unternehmer gewinnt auch nichts. Hie und da ein bisschen Druck macht schon nichts aus. Obwohl jetzt die Basis für Verhandlungen weitaus besser ist als vor Jahrzehnten, weil die Einsicht auf beiden Seiten gewachsen ist.
Muss sich der ÖGB neu gründen?
Wozu? Es gibt nicht viel zu reformieren, man muss die Dinge nur vernünftig ordnen. Die Aufgabe bleibt dieselbe wie bisher. Man muss sie nur auf eine sachliche Grundlage stellen und sich auf diese Aufgabe beschränken.
Ist es angesichts der Strukturen des ÖGB denkbar, dass einzig Verzetnitsch, der ja nicht gerade ein mächtiger Präsident war . . .
Aber wo! Der ist dort hingesetzt worden, weil sich die Starken nicht geeinigt haben, wer von ihnen dort sitzen soll. Die hätten einen Bürolehrling hinsetzen können.
Und jetzt soll er allein an allem schuld sein?
Das ist nicht denkbar, auch wenn der Präsident des ÖGB schon sehr mächtig ist. Es war immer die Stärke dieser Organisation, dass die Autorität, die von ihrem Spitzenmann ausgeht, sehr groß war. Das ist jetzt dahin.
Genauso wie das Vertrauen in den ÖGB.
Es wird lange dauern, bis das wiederhergestellt ist. Das Schlimme ist, dass es das Vertrauen der Menschen in das demokratische System demoliert. Das ist viel schlimmer als die Kapitalseite - der totale Verlust an Vertrauenskapital. Trotzdem bin ich nicht pessimistisch. Erstens bringt es nichts, und zweitens haben wir keine Ursache für Pessimismus. Wir haben ja in Wahrheit eine gute Grundlage. So dumm können wir gar nicht sein, dass wir alles verhauen.
Ist Optimismus das Geheimnis Ihrer Jugendlichkeit im Alter?
Ja, ich war immer Optimist, auch wie ich ein paar Mal scheinbar am Ende war. Ich hab immer gesagt: Niemals aufgeben! Niemals kapitulieren!
Was hat den Politiker Franz Olah angetrieben?
Weiterzukommen. Die Dinge, die wir brauchten und noch nicht hatten, zu bewerkstelligen. Und die Menschen mit diesen Dingen vertraut zu machen. Die Menschen zu überzeugen. Das ist eine schwere Arbeit.
Was hat Sie dazu bewogen, diesen Weg immer weiter zu gehen und sich auch an die Spitze zu stellen?
Als ich in Dachau im Bunker war - 45 Tage Dunkelarrest, nur jeden vierten Tag etwas Warmes zu essen, drei Tage nur Brot und Wasser und dazwischen die offizielle Prügelstrafe, so dass ich 14 Tage nur am Bauch habe liegen können - da habe ich mir überlegt: Ist es das alles wert, kann ich es verantworten, andere für diese Aufgabe anzuwerben und ihnen zu sagen, wir müssen das tun? Und ich bin zur Überzeugung gekommen: ja, es ist richtig - und ich bin durchgekommen.
Hatten Sie immer einen starken Glauben an Österreich?
Ja, aber überhaupt an die menschliche Entwicklung, an die Basis, wie wir leben sollen, wie wir unser Leben einrichten sollen. An den besseren Weg. Es hat manchmal so ausgeschaut, als würde ich Unrecht haben. Und ich habe mich manchmal selber gewundert, wie ich überall durchgekommen bin. Ich habe unsagbares Glück gehabt - oder was immer es war. Es ist mir ein Rätsel, wie das passiert ist, dass mir nämlich nichts passiert ist, überhaupt nichts. Dass ich alles überlebt habe: den Steinbruch, den harten Winter - und all das andere nachher. Ich bin zwar in die Hölle gekommen. Aber ich bin auch wieder herausgekommen.
Wenn man an die Hölle glaubt - glaubt man dann auch an den Himmel?
Ob es ein Himmel sein muss, weiß ich nicht. Aber es könnte sein, dass es so etwas gibt. Ich war immer ein gläubiger Mensch.
Sie standen nie in der Tradition der sozialistischen Freidenker?
Nie. Ich hab das von Anfang an abgelehnt. Mich hat einer einmal gefragt: Glaubst, gibt es wirklich etwas nach dem Tod? Da habe ich gesagt: Das weiß ich so gut wie du, nämlich nicht. Der Christ hat die Hoffnung, der andere hat sie nicht. Das ist der Unterschied. Was sein wird, werden wir sehen, oder, wie ein Freund sagte: Ich hoffe, dass es etwas gibt - und sollte sich herausstellen, dass es nichts gibt, hat es nicht geschadet, denn im Leben hat es mir geholfen.
Biographie
Franz Olah wurde am 13. März 1910 in Wien geboren. Er wuchs in Wien, Laibach und Budapest auf, wo er von 1919 bis 1923 das Gymnasium besuchte. In Wien erlernte er den Beruf des Klaviermachers und trat 1926 der Sozialistischen Jugend bei. Während der Weltwirtschaftskrise wurde er arbeitslos und widmete sich der Sozialarbeit. Im Ständestaat verbüßte er drei politische Freiheitsstrafen, er war Mitglied der Revolutionären Sozialisten Österreichs und arbeitete im Untergrund für die freien Gewerkschaften. Bis zuletzt verhandelte er mit Kurt Schuschnigg, um eine gemeinsame Abwehr gegen die Nationalsozialisten aufzustellen.
1938 bis 1944 wurde er im Konzentrationslager Dachau, 1944 bis Kriegsende in Buchenwald gefangen gehalten.
Von 1945 bis 1948 war er SP-Gemeinderat in Wien, 1949 Nationalratsabgeordneter. Als Vorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz (1949 - 57) schlug er im Herbst 1950 einen kommunistischen Putschversuch nieder. 1955 wurde Olah Vizepräsident, 1959 Präsident des ÖGB. Das blieb er bis 1963, als er - für nur ein Jahr - Innenminister wurde. 1961 legte er mit Julius Raab im "Raab-Olah-Abkommen" den Grundstein für die Sozialpartnerschaft.
1964 unterlag Olah in einem harten innerparteilichen Kampf und wurde aus der SPÖ ausgeschlossen. Daraufhin gründete er 1965 die DFP (Demokratische Fortschrittliche Partei), mit der er 1966 bei den Nationalratswahlen drei Prozent der Stimmen erreichte. Für den eigenmächtigen Einsatz von Gewerkschaftsgeldern (für die Gründung der "Kronenzeitung", die Unterstützung des "Express" und als Finanzspritze für die FPÖ) wurde er 1969 zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt. Erst seit 1974 bekommt er die ihm aberkannte Pension.
2005 wurde Olah anlässlich seines 95. Geburtstages mit dem "Großen Goldenen Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich" ausgezeichnet.