Ein Werfel-Symposion in Yerevan stellt die Weichen neu
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Franz Werfels Werk ist in Armenien wie in keinem anderen Land lebendig. Seit er in seinem Roman "Die vierzig Tage des Musa Dagh" dem Schicksal des armenischen Volkes ein Denkmal gesetzt hat, wird er wie der Dichter eines Nationalepos verehrt. Die Aktualität von Werfels Roman liegt darin, dass er das Schicksal der Armenier ins Symbolische hob. Er enthält das Geschick aller, die durch Krieg und Verfolgung gegangen sind. Nicht die Türkei klagt Werfel an, sondern ein System. Deshalb konnte der Roman eben jetzt sogar auf Türkisch erscheinen.
Es hat tiefen Sinn, dass das heurige internationale Wissenschaftliche Symposion des Werfel-Komitees in Yerevan, der Hauptstadt Armeniens, an der Akademie der Wissenschaften durchgeführt wurde.
Eröffnet wurde das Symposion mit Begrüßungsansprachen des Präsidenten der Akademie Fadej Sargisian, der Präsidentin des Werfel-Komitees Marianne Gruber, der Dichterin Silva Kaputikian, des Direktors des Museum-Institutes für Genozid an Armeniern Lawrenti Barsegian und einem Geleitwort von Nersen Erzbischof Posapalian. Unterstrichen wurde die Bedeutung des Symposions nicht zuletzt dadurch, dass die Botschafterin Österreichs in der Republik Armenien, Heidemaria Gürer, daran teilnahm und auch das Schlusswort sprach.
Zu den Vorträgen waren nicht nur prominente Wissenschafter gekommen, sondern auch zahlreiche Studenten, die durch hervorragende Deutschkenntnisse verblüfften.
Das Eröffnungsreferat, "Werfel und die Politik" war dem Verfasser dieses Hinweises anvertraut worden. Marianne Gruber sprach über "Literatur als Metapher der Geschichte", Artem Ohandjanian, der auch einen beeindruckenden, von ihm gestalteten Videofilm über "Die vierzig Tage des Musa Dagh" vorführte, hatte "Franz Werfel und sein Musa-Dagh-Held Bagradian" zum Thema gewählt. Über "Das Werk von Lewon Paltschian · Die Armenier des Musa-Berges" im Roman von Franz Werfel "informierte Geworg Gharibdjanian". Die unvergängliche Aktualität in Franz Werfels Werk beleuchtete Medji Pirumowa. Murray Hall zeichnete ein unverzerrtes Bild der Verlagsgeschichte unter dem Aspekt "Franz Werfel und der Literaturwettbetrieb der dreißiger Jahre". Werschin Swaslian erschütterte mit einem Vortrag über "Franz Werfel und die Erinnerungen von Musa-Berg-Überlebenden".
Das Rahmenprogramm war klug auf das Symposion abgestimmt. Exkursionen führten u. a. in das Genozid-Museum, in dessen Außenwall Erde vom Grabe Werfels in Wien eingemauert ist, in die "Franz Werfel-Schule", nach Garni, wo der erste armenische König eine Sommerresidenz hatte und von wo aus man über unwirtliches Felsgelände einen herrlichen Blick bis zur alten Seidenstraße hat, in ein Felskloster
und schließlich in ein Dorf des Musa-Berges, wo mit Volkstänzen ein Nationalfest gefeiert wurde. Aber auch dort blieb Werfel nicht nur in offiziellen Reden gegenwärtig: In einem innen begehbaren Mahnmal sind Fotos von Werfel und Bücher des Dichters ausgestellt.
Das vielleicht wichtigste Ergebnis: Ohne dass die Erinnerung an den Völkermord verdrängt wird, wird ein neues Bewusstsein geschaffen, das den Hass überwindet und auf ethische Einigung zielt. Werfel lebt...