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Franziska Giffey: Harte Landung der Hoffnungsträgerin

Von Alexander Dworzak

Politik

Der SPD droht, bei der Wahl in Berlin erstmals seit 1999 auf Rang zwei zurückzufallen. Bürgermeisterin Franziska Giffey könnte sich im Amt halten, falls ihre rot-grün-rote Regierung wieder die Mehrheit erhält. Die Probleme blieben.


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Berlins Verwaltung genießt einen miserablen Ruf. 2021 demonstrierte sie, dass die schlechte Nachrede gerechtfertigt ist. Gleichzeitig mit der Bundestagswahl fand im September die Wahl zum Berliner Landesparlament statt, dem Abgeordnetenhaus, und jene der zwölf Bezirksparlamente. Wähler verbrachten Stunden in Warteschlangen. Wahlzettel konnten nicht rasch genug nachgeliefert werden, da an jenem Tag auch der Berlin-Marathon stattfand und viele Routen gesperrt waren. Wahllokale blieben daher auch nach dem Schließtermin 18 Uhr geöffnet, als Medien bereits Ergebnisse von Nachwahlbefragungen veröffentlichten. Bundeswahlleiter Georg Thiel attestierte den Behörden ein "komplettes systematisches Versagen der Wahlorganisation", der Berliner Verfassungsgerichtshof ordnete an, dass die Wahl in der gesamten Stadt wiederholt werden muss.

Eine "bärenstarke Verwaltung" - in Anlehnung an das Wappentier Berlins - nennt Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) auf ihrer Webseite einen ihrer Schwerpunkte. "Eine gute Verwaltung ist die Basis für das Funktionieren einer Großstadt." Konkrete Maßnahmen und Zeitpunkte, bis wann die Verbesserungen greifen, fehlen dort allerdings. Immerhin, ein "Chief Digital Officer" ist gefunden, der die Verwaltung nach vorne bringen soll. In einer Stadt, die als Hort der Tech-Start-ups gilt, feiert Giffey die Einführung eines elektronischen Bedienfeldes für Unterschriften als "wichtigen Schritt zur Digitalisierung".

Image der Macherin, aber auf andere angewiesen

Unter Giffeys Führung könnte die SPD bei der Wahlwiederholung am Sonntag das schlechteste Ergebnis in der deutschen Hauptstadt seit Kriegsende erzielen. 21,4 Prozent im Jahr 2021 markieren das bisherige Tief - erzielt ebenfalls unter Giffey. Die letzverfügbaren Umfragen sehen die SPD bei 19 bis 21 Prozent. Deutlich in Führung liegt die CDU, den Konservativen werden rund 25 Prozent vorausgesagt. Behalten die Meinungsforscher recht, werden die Sozialdemokraten erstmals seit 1999 nicht mehr stärkste Kraft in Berlin.

Will sich die Bürgermeisterin im Amt halten, muss Giffey darauf hoffen, dass die bisherigen Koalitionspartner Grüne und Linkspartei für die Mehrheit sorgen. Zugleich liegt in diesem Bündnis der Grund für Giffeys Schwäche: Rot-Grün-Rot arbeitet zeitweise eher gegeneinander als miteinander. Und die Bürgermeisterin muss dem Treiben machtlos zusehen. Denn anders als Parteikollege Olaf Scholz im Kanzleramt verfügt Franziska Giffey im Roten Rathaus nicht über eine Richtlinienkompetenz, dank der sie Abweichler einfangen kann.

Giffeys politisches Fundament beruht aber auf dem Image der Macherin. 2015 löste sie Heinz Buschkowsky als Bezirksbürgermeisterin in Neukölln ab. Die Gegend erlangte deutschlandweite Bekanntheit als Problemgebiet bei der Integration, und Buschkowsky für seine robusten Lösungsansätze. Nach knapp drei Jahren im Amt wechselte Giffey in die Bundespolitik und wurde Familienministerin. Damals galt sie als Kanzlerin-Reserve der SPD, verspielte ihren Ruf aber spätestens, als ihre Dissertation "Europas Weg zum Bürger" als Plagiat entlarvt wurde. Im Mai 2021 trat Giffey als Ministerin zurück.

Ein halbes Jahr zuvor war sie SPD-Chefin in Berlin geworden, gemeinsam mit Raed Saleh. Diesen Posten bekleidet Franziska Giffey bis heute. Die Stadt ist ihre letzte Machtbasis. Doch nicht einmal unter den Genossen ist die 44-Jährige unumstritten. Die Vorbehalte beruhen auf Gegenseitigkeit: "Kritische Debatten in der Partei sind möglich, aber das heißt nicht, dass ich meine Position ändere", zitiert der "Tagesspiegel" Giffey. Sie gehört dem rechten Flügel an. Beim Parteitag vergangenen Juni plädierten die Delegierten jedoch mehrheitlich dafür, große Wohnungsunternehmen sollen enteignet werden, falls das rechtlich möglich ist.

Wohnungsnot ist ständiger Unruheherd

Die Wohnungsmiere zählt zu Berlins ungelösten Dauerproblemen. 3,8 Millionen Menschen leben in der Metropole, um 500.000 mehr als vor zehn Jahren. Die Politik gab in den Nullerjahren eines ihrer Steuerungsinstrumente für niedrige Mieten auf und verkaufte 65.000 kommunale Wohnungen. Das lag einerseits an der hohen Verschuldung der Berliner Wohnbaugesellschaften. Andererseits standen zu dieser Zeit 150.000 Wohnungen leer. Der Berlin-Boom setzte erst später ein.

Dass die Entscheidung von einer rot-roten Stadtregierung gefällt wurde, macht die Angelegenheit zu einer bis heute offenen Wunde für SPD und Linkspartei. Die Linke hat nun eine klare Linie, sie ist der Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" verbunden. Diese fordert die Enteignung von privaten profitorientierten Immobiliengesellschaften, die mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin besitzen. Bei einer Volksentscheidung stimmten mehr als eine Million Bürger für die Enteignungspläne. Unmittelbare Konsequenzen hatte die Abstimmung nicht. Giffey hält nichts davon, Wohnbaugesellschaften zu enteignen, anders als die Grüne Bettina Jarasch und der Linke Klaus Lederer. Das Thema bleibt somit ein ständiger Unruheherd in Berlins Politik.

In der Verkehrspolitik prallen Welten aufeinander

Ein weiterer Aufreger im aktuellen Wahlkampf ist die Verkehrsfrage. Abermals kann Giffey ihre Vorstellungen nicht durchsetzen. Die grüne Spitzenkandidatin Jarasch ist auch Verkehrssenatorin, sie ließ die Friedrichstraße für den Autoverkehr sperren. Die Nord-Süd-Verbindung im Zentrum soll dauerhaft umgestaltet, der Durchzugsverkehr stadtweit eingeschränkt werden. Auch in Berlin herrscht die in Wien bestens bekannte Debatte, wie der begrenzte Raum zwischen Fußgängern, Pkw-Spuren samt Parkplätzen und öffentlichen Verkehrsmitteln aufgeteilt werden soll. Die grünen Pläne seien mit ihr nicht möglich, sagte Giffey diese Woche beim Gespräch der Spitzenkandidaten im ARD-Sender rbb. CDU-Vertreter Kai Wegner stimmte in die Kritik ein: "Diese Verkehrspolitik will ich nicht in Berlin."

Überraschend einträchtig gaben sich CDU und Grüne zu den Silvester-Krawallen, Polizisten und Feuerwehrleute wurden damals angegriffen. Wegner wollte aus der Debatte um Jugendgewalt keine um den Migrationshintergrund der Mehrheit der Verhafteten machen. Er verwies auf Gewalt auch von linken und rechten Jugendlichen, so wie auch die Grüne Jarasch.

Eine Koalition zwischen Konservativen und Grünen ist aber unwahrscheinlich. Der bürgerliche Flügel bei Berlins Grünen ist gegenüber den Parteilinken klar in der Minderheit. In der SPD ist wiederum das Interesse überschaubar, nach der Wahl als Juniorpartner der CDU weiterzumachen. Nach mehr als 20 Jahren an der Regierungsspitze soll zumindest der Posten der Bürgermeisterin gerettet werden. Auch um den Preis, dass in der nächsten rot-grün-roten Regierung weitere Aufreger-Themen wie marode Schulen und die unklare Verlängerung der Stadtautobahn A100 ungelöst bleiben.