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Französische Juden strömen nach England

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Nicht nur nach Israel ziehen französische Juden, die sich aus ihrem Ursprungsland absetzen wollen. Auch Großbritannien verzeichnet wachsende Zuwanderung von jenseits des Ärmelkanals.


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London. Die Sorge um ihre persönliche Sicherheit soll viele von ihnen angetrieben haben: Die Londoner "Times" meldet einen verstärkten Zuzug französischer Juden nach Großbritannien. Allein in den letzten zwei Jahren sollen zwischen 4000 und 5000 französische Juden über den Ärmelkanal nach England gezogen sein. Nach Gesprächen mit britischen Rabbis geht die Zeitung davon aus, dass infolge der jüngsten Pariser Ereignisse sich der Strom der Umzügler dieses Jahr noch verstärken wird.

Das konservative Leitblatt Britanniens räumt ein, dass "genaue Zahlen schwer zu erhalten" sind. Es stützt sich auf Schätzungen Simon Tobelems, eines mit der Betreuung jüdischer Gemeinden in England befassten prominenten Geschäftsmanns, der ursprünglich aus Nizza kam und 2008 "wegen der sich dort verschlechternden Situation" mit seiner Familie nach London übersiedelte.

"Jede Woche tauchenneue Gesichter auf"

Tobelem geht davon aus, dass inzwischen rund 20.000 Juden französischer Nationalität in England leben. Knapp ein Viertel davon soll Frankreich in den vorigen zwei Jahren verlassen haben. Er rechne damit, "dass dieser Trend sich noch verstärkt", meint Tobelem. "Jede Woche tauchen hier neue Gesichter auf." Auch der Chef-Rabbi Großbritanniens, Ephraim Mirvis, erwartet offenbar weitere Ankömmlinge aus dem Süden. Mirvis hielt sich diese Woche in Paris auf. Er vermutet, dass "nach dem Trauma der letzten Tage" zumindest einige Juden "ihre Zukunft in Frankreich überdenken" würden.

Der aus Paris-Neuilly stammende Vorsitzende der Vereinigten Synagoge von Hendon in Nord-London, Marc Meyer, glaubt, dass viele Juden Großbritannien noch immer für wesentlich sicherer halten als Frankreich - obwohl auch auf der Insel die Anzahl gemeldeter antisemitischer Zwischenfälle zugenommen hat. "Ich fühle mich jedenfalls unbehelligt als Jude hier", meint Meyer. "In Paris muss ich immer mehr auf der Hut sein."

In der Tat hat eine jüngste repräsentative Umfrage des Londoner Wochenblatts "The Jewish Chronicle" ergeben, dass die überwältigende Mehrheit der 270.000 in Großbritannien lebenden Juden sich ausreichend sicher fühlt im Lande. 75 Prozent gaben an, sich vollkommen oder weitgehend sicher zu fühlen. Auch nach den Morden von Paris erwägt nur jeder Neunte wegzuziehen. Unter den Jüngeren überlegt es sich immerhin jeder Sechste inzwischen.

Antisemitische Übergriffe haben zugenommen

Im Gegensatz zur Umfrage des "Jewish Chronicle" ist eine Umfrage der britischen Kampagne gegen Antisemitismus allerdings zu dem Schluss gekommen, dass schon in den vorigen zwei Jahren wegen zunehmend antisemitischer Stimmung auch auf der Insel ein Viertel aller Juden den Abzug - vornehmlich nach Israel - erwogen hat. Mehr als die Hälfte aller britischen Juden befürchtet dieser Umfrage zufolge, dass Juden langfristig "keine Zukunft" im Vereinigten Königreich oder überhaupt in Europa haben. Die Kampagne gegen Antisemitismus sprach in diesem Zusammenhang von einem "Weckruf" an die Öffentlichkeit in Großbritannien. Allein im Vorjahr soll sich die Zahl antisemitischer Übergriffe, Attacken und Schmierereien um mehr als ein Drittel erhöht haben.

Einer separaten Umfrage des YouGov-Instituts zufolge teilt fast die Hälfte aller Briten das eine oder andere der gängigen antisemitischen Stereotypen. Ein Viertel der Bevölkerung ist zum Beispiel davon überzeugt, dass Juden mehr hinter Geld her seien als ihre nicht-jüdischen Landsleute.

Jeder zehnte Brite glaubt, dass Juden weniger ehrliche Geschäftsleute abgeben würden. Ebenfalls jeder Zehnte räumt ein, dass er "nicht glücklich" darüber wäre, wenn ein Verwandter einen Juden heiraten würde.