Dass erstaunlich viele Frauen den groben Antifeministen Donald Trump gewählt haben, ist nur auf den ersten Blick paradox.
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Hat Hillary Rodham Clinton die US-Präsidentschaftswahl verloren, weil sie eine Frau ist? An den westlichen wie an den östlichen Gestaden des Atlantiks wird seit dem 9. November einigermaßen fleißig an dieser Erzählung gestrickt. "Sollte Hillary Clinton gegen den Sexisten Donald Trump verlieren, ist das der ultimative Beweis, wie frauenverachtend die US-Gesellschaft ist", erläuterte die feministische US-Schriftstellerin Siri Hustved schon Wochen vor der Wahl. Auch in österreichischen Medien war dergleichen gelegentlich zu lesen.
Nun, da Clinton tatsächlich verloren hat, ist dieser Logik folgend der Beweis erbracht, dass die US-Gesellschaft ganz unfassbar frauenfeindlich ist. Folgen wir dieser Erzählung weiter, war der 9. November gleichsam eine antifeministische Konterrevolution, die das Verhältnis zwischen Frauen und Männern in die 1960er zurückbeamen will und wird. Erst in den USA, früher oder später aber wie meist auch in Europa.
Diese Erklärung für Clintons Niederlage hat einen einzigen, winzigen Fehler: Sie dürfte schlicht und einfach falsch sein. Denn entgegen einer derzeit gebetsmühlenhaft öffentlich wiederholten Lüge waren es nicht hauptsächlich weiße, alte, verbitterte Männer, die "The Donald" wählten, sondern (auch) mehr als 50 Prozent der weißen Frauen, darunter eine erhebliche Zahl von Wählerinnen mit guter Ausbildung und höheren Einkommen. Und auch unter den nicht-weißen Wählerinnen schnitt Trump deutlich besser ab, als angesichts seines Frauenbildes zu erwarten war. Das deutet doch irgendwie stark darauf hin, dass sehr viele Frauen einfach entsprechend ihren politischen Präferenzen, den Forderungen und Plänen der Kandidaten oder auch nach Sympathie oder Antipathie wählen - und nicht anhand des Geschlechts. Dass also Frauen letztlich in ihrem Wahlverhalten genauso wie Männer sind - was eigentlich nicht wirklich ein Problem darstellt, ganz im Gegenteil. Nicht ganz ausschließen können wir deshalb, dass sehr viele Frauen sich nicht für die Geschlechtsgenossin Clinton entscheiden konnten, weil sie etwa deren Kriegspolitik in Nahost für falsch hielten, es eklig fanden, dass sie von einer Investmentbank 250.000 Dollar für eine Rede nahm, in der sie die Banker zum Lügen animierte, oder ganz einfach das etwas distanzierte Verhältnis Clintons zur Wahrheit degoutant fanden.
Daraus ergibt sich zwingend die Frage: Welche Drogen muss man eigentlich nehmen, um von Frauen zu erwarten, dass sie eine Kandidatin mit derart evidenten Handicaps all dem zum Trotz wählen, nur weil sie eine Frau ist? Es mag für die Ex-Außenministerin ja irgendwie tröstlich sein, nun zu lesen, ihre Niederlage sei nicht eigenem Versagen, sondern einem antifeministischen Roll-Back reaktionärer Landeier, frustrierter Loser und anderer weißer Männer geschuldet, auch wenn das mit den Fakten nicht zur Deckung zu bringen ist. Klüger wäre freilich, diese Wahl ganz anders zu interpretieren: dass nämlich Frauen - entgegen einem unter Männern weitverbreiteten Vorurteil - in der Wahlzelle nicht emotionaler agieren, sondern genauso ihren Interessen, Neigungen und Ansichten folgen wie Männer. Dies als "ultimativen Beweis, wie frauenverachtend die US-Gesellschaft ist", zu deuten, ist schlicht und ergreifend Unsinn.