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Paul Krugman, Nobelpreisträger im Fach Ökonomie, widmete seinen jüngsten Kommentar im "Herald Tribune" Frau Nein: Gemeint ist die deutsche Kanzlerin Angelika Merkel und ihr Zögern, sich an energischen, EU-weit koordinierten Maßnahmen gegen die mit Riesenschritten heranziehende Wirtschaftskrise zu beteiligen. Das wird Frau Merkel nicht ewig durchhalten - aber vielleicht zu lange. Die Zeit drängt.
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In den USA gingen in den letzten zwölf Monaten fast zwei Millionen Jobs verloren. Allein im November verloren 530.000 Personen ihren Arbeitsplatz, das ist der höchste monatliche Rückgang seit 34 Jahren. Allein die Bank of America will 35.000 Stellen streichen; ein Ende der Kündigungswelle im US-Finanzsektor ist nicht in Sicht. Die Immobilienpreise sind nach wie vor im freien Fall. Das bedeutet private Vermögensverluste und Rückgänge im Privatkonsum. Der Verkauf von Pkw geht im Vergleich zum Vorjahr um 30 bis 40 Prozent zurück. Die drei großen Autokonzerne sind mit ihrer Bitte an den Kongress um eine Finanzspritze über 34 Milliarden Dollar (vorläufig) abgeblitzt.
Wer glaubt, das ginge nur die Amerikaner etwas an, irrt sich gründlich. Ford und General Motors beschäftigen insgesamt 120.000 Personen in der EU; Opel und Saab etwa gehören zu GM, Volvo ist eine Ford-Tochter. Speziell die deutschen Ford- und GM-Werke gelten als gesund, im Gegensatz zu ihren Müttern, die es sich in ihren spritfressenden Anachronismen zu lange zu bequem gemacht haben. Aber niemand weiß, ob die europäischen Töchter überleben können, wenn die US-Mütter in Konkurs gehen. Das wirkt sich bereits aus: Die Autowerke - nicht nur die Ford- und GM-Töchter - kürzen ihre Aufträge an die Zulieferer, die Zulieferer zögern ohne Bankgarantie zu liefern, die Banken zögern, solche Kreditgarantien zu geben.
Quer durch Europa steigt das Risiko des Stillstands; auch in Österreich.
Das allein ist schlimm genug, aber nur die Spitze des Eisbergs. Um die größte Wirtschaftskrise seit 1975, ja seit 1929 zu vermeiden, wird die lasche Zins- und Geldpolitik der EZB nicht ausreichen. Es ist eine alte Weisheit, dass man mit der Schlinge der Geldpolitik zwar eine überhitzte Konjunktur abwürgen kann, in schwerer Rezession aber die Fiskalpolitik braucht: mit höheren Ausgaben und niedrigeren Steuern beziehungsweise Abgaben zur Stützung der Nachfrage, auch wenn die Staatsverschuldung dadurch vorübergehend steigt.
Und hier sind wir wieder bei Frau Nein. Österreich allein, ja jedes einzelne EU-Mitgliedsland allein wäre überfordert; zu groß sind die Sickereffekte nationaler Maßnahmen in einer international verflochtenen Wirtschaft. Aber wenn die EU-Staaten gemeinsam handeln, und zwar rasch, gibt es eine Chance, mit Schrammen, aber ohne bleibende Narben durchzukommen.
Alexander Van der Bellen ist Abgeordneter der Grünen im Nationalrat.