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Frauen, Aids und Hunger in Afrika

Von Kofi A. Annan

Politik

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Eine Kombination aus Hunger und AIDS bedroht das Rückgrat Afrikas - die Frauen, die die afrikanische Gesellschaft aufrechterhalten und deren Arbeit die wirtschaftliche Grundlage der ländlichen Gemeinschaften bildet. Seit Jahrzehnten wissen wir, dass der beste Weg für die Entwicklung Afrikas die Gewährleistung von Freiheit, Wissen und Macht für die Frauen ist, damit sie Entscheidungen über ihr eigenes Leben und das ihrer Familien und Gemeinschaften treffen können. Bei den Vereinten Nationen haben wir immer erkannt, dass unsere Entwicklungsarbeit von der Schaffung einer erfolgreichen Partnerschaft mit der afrikanischen Bäuerin und ihrem Ehemann abhängt.

Studie auf Studie hat gezeigt, dass es keine effektive Entwicklungsstrategie gibt, bei der Frauen nicht eine zentrale Rolle spielen. Wenn Frauen integriert sind, werden die Vorteile sofort sichtbar: die Familien sind gesünder; sie werden besser ernährt; ihre Einkommen, Ersparnisse und Neuinvestitionen steigen. Und was für die Familien gilt, gilt auch für Gemeinden und schliesslich für ganze Länder.

Aber heute werden Millionen afrikanischer Frauen von zwei gleichzeitigen Katastrophen bedroht: Hunger und AIDS. Mehr als 30 Millionen Menschen sind gegenwärtig im südlichen Afrika und am Horn von Afrika vom Hungertod bedroht. All diese überwiegend ländlichen Gesellschaften kämpfen auch gegen die AIDS-Epidemie. Das ist kein Zufall: AIDS und Hunger sind direkt miteinander verbunden.

Wegen AIDS gehen die bäuerlichen Fähigkeiten verloren, die landwirtschaftlichen Entwicklungsbemühungen sinken, die ländlichen Einkommensquellen versiegen, die produktiven Bearbeitung des Landes geht zurück und die Haushaltseinkommen werden weniger, während die Krankenkosten exponentiell steigen. Gleichzeitig steigen die HIV-Infektionen und AIDS, bei Frauen dramatisch und unverhältnismässig hoch. Ein im vorigen Monat erschienener Bericht der Vereinten Nationen zeigt, dass 50 Prozent der weltweit HIV-Infizierten Frauen sind - und in Afrika liegt die Zahl sogar bei 58 Prozent. Heute hat AIDS das Gesicht einer Frau.

AIDS hat durch den Tod von 2,5 Millionen Afrikanern allein im vergangenen Jahr bereits immenses Leid verursacht. Elf Millionen afrikanischer Kinder blieben seit Beginn dieser Epidemie als Waisen zurück. Jetzt greift es die Kapazitäten dieser Länder durch die Ausrottung jener Mechanismen im Kampf gegen den Hunger an -- die Fähigkeiten der Frauen, damit fertig zu werden.

Bei Hungersnöten vor der AIDS-Krise zeigten sich die Frauen widerstandsfähiger als die Männer. Ihre Überlebensrate war höher und ihre Anpassungsfähigkeiten waren stärker. Es waren die Frauen, die alternative Ernährungsmöglichkeiten fanden, um ihre Kinder in Dürrezeiten durchzubringen. Als Dürrekatastrophen etwa einmal pro Jahrzehnt auftraten, konnten jene Frauen, die damit schon Erfahrung hatten, ihre Überlebensstrategien an die jüngeren Frauen weitergeben. Frauen entwickeln soziale Netzwerke, die beim Verteilen der Last in Hungerszeiten helfen.

Aber heute, wo AIDS die Gesundheit afrikanischer Frauen untergräbt, untergräbt es zugleich die Fähigkeiten, Erfahrungen und Netzwerke, die die Familien und Gemeinschaften weiter leben liessen. Bevor sie selber krank wird, muss eine Frau oft ihren kranken Mann pflegen, was ihre Zeit für den Anbau, die Ernte und den Verkauf von Feldfrüchten einschränkt. Wenn der Mann stirbt, wird sie oft bei der Kreditvergabe, Verteilungssystemen und Landrechten benachteiligt. Wenn sie stirbt, läuft der der Hauhalt Gefahr, völlig zu zerbrechen und die Kinder müssen sich selbst versorgen. Die älteren Kinder, besonders die Mädchen, werden aus der Schule genommen und müssen zu Hause oder auf der Farm arbeiten. Diese Mädchen, denen Bildung und Entwicklungsmöglichkeiten vorenthalten werden, können sich selbst noch weniger vor AIDS schützen.

Weil sich diese Krisen von früheren Dürrekatastrophen unterscheiden, müssen wir nach anderen als den früheren Hilfsmassnahmen suchen. Lediglich Nahrungsmittel zu liefern, reicht nicht aus. Unsere Bemühungen müssen die Nahrungsmittelhilfe und neue Methoden bei der Landwirtschaft mit der Behandlung und Vorbeugung von HIV und AIDS kombinieren. Dass macht die Schaffung von Frühwarn- und Analysesystemen, die HIV-Infektionsraten und Hungerindikatoren überwachen, notwendig. Es bedarf neuer landwirschaftlicher Techniken, angepasst an das verminderte Arbeitskräftepotential. Und es bedarf neuer Bemühungen, das HIV-bezogene Stigma und Schweigen zu überwinden.

Es braucht weiterhin innovativer, weitreichender Methoden und spezieller Massnahmen, für die Waisen zu sorgen und den Kindern in AIDS-betroffenen Gemeinschaften den Schulbesuch zu gewährleisten. Bildung und Vorbeugung sind noch immer die besten Waffen gegen die Ausbreitung von HIV. Vor allem müssen die neuen internationalen Bemühungen die Frauen in den Mittelpunkt unserer Strategie im Kampf gegen AIDS stellen.

Beispiele zeigen, dass es begründete Hoffnung gibt. Der neueste Bericht der Vereinten Nationen zeigt, dass HIV-Infektionsraten in Uganda kontinuierlich zurückgehen. In Südafrika beginnen sich die Infektionsraten bei Frauen im Alter unter 20 Jahren zu verringern. In Sambia zeigen die HIV-Raten bei Frauen in städtischen Gebieten und bei jüngeren Frauen in ländlichen Gebieten einen Rückgang. In Äthiopien fielen die Infektionsraten bei jungen Frauen im Zentrum von Addis Abeba.

Wir können und müssen auf diesen Erfolgen aufbauen und sie anderswo wiederholen. Dafür brauchen wir die Führung, Partnerschaft und den Einfallsreichtum der internationalen Gemeinschaft und der afrikanischen Regierungen. Wenn wir Afrika von zwei Katastrophen retten wollen, tun wir gut daran, seine Frauen zu retten.

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Der Autor ist Generalsekretär der Vereinten Nationen.