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Frauen: Auf Brüssel keine Lust

Von Michael Schmölzer

Europaarchiv

Als am 2. Juni 1992 die dänische Bevölkerung aufgerufen war, in einem Referendum über die Verträge von Maastricht abzustimmen, waren es vor allem die Däninnen, die mit ihrem "Nein" und ihren Stimmenthaltungen den Traum von einer Europäischen Union vorerst einmal platzen ließen. Einige Monate später bot sich bei der Abstimmung in der Schweiz über den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) dasselbe Bild: Wieder war es der weibliche Bevölkerungsanteil, der mit knapp 60 Prozent seiner Stimmen den EWR-Beitritt verhinderte.


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Das Phänomen fand zwei Jahre später bei den Beitrittsabstimmungen in Finnland, Schweden, Norwegen, Österreich seine Fortsetzung. Deutlich weniger Frauen als Männer sprachen sich für die blaue Flagge mit den (derzeit 15) goldenen Sternen aus.

Skepsis "traditionell"

Dass sich seit 1994 an dieser Tendenz nichts geändert hat, zeigt die brandneue Umfrage der "Sozialwissenschaftlichen Studienstelle" (SWS), durchgeführt im Auftrag der "Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik": "Traditionell", heißt es da lapidar, "stehen Männer der Mitgliedschaft Österreichs in der EU etwas positiver gegenüber als Frauen". Konkretes Zahlenmaterial wird auch geliefert: 84 Prozent der Österreicher, aber nur 77 Prozent der Österreicherinnen sind der Ansicht, dass die Alpenrepublik EU-Mitglied bleiben sollte. Nur 11 Prozent der Männer, aber 17 Prozent der Frauen sind der Meinung, Österreich sollte aus der EU austreten.

Wenn es in der Studie heißt, Österreichs Männer stünden der EU "etwas positiver" gegenüber, so bleibt anzumerken, dass Frauen ganz offensichtlich "deutlich weniger" Freude an der Idee der europäischen Einigung haben.

Stellt sich nun die Frage, warum das so ist. Stefan Schaller von der "Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft" , der die Studie geleitet hat, führt ins Treffen, dass eine positive Einstellung zur EU eng an das Merkmal der Berufstätigkeit gekoppelt sei. Die klassische Hausfrau - in Österreich immer noch relativ weit verbreitet - reagiere tendenziell "negativ auf Neuerungen" und "Unbekanntes", so Schaller. "Uns ist aufgefallen, dass Frauen beispielsweise bei Wissensfragen zu EU-Themen schlechter abschneiden als Männer, so der Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europafragen, Gerhard Bauer gegenüber der "Wiener Zeitung". Wenn beispielsweise nach der außenwirtschaftlichen Bedeutung eines starken/bzw. schwachen Euro gefragt werde, zeigten sich Frauen im Schnitt ahnungsloser. Die Hintergründe dafür seien rein über Zahlen freilich nicht erklärbar.

Hier kann Birgit Sauer, Professorin für Politikwissenschaft an der Uni Wien und Mitherausgeberin des Buches "EU.Geschlecht.Staat", etwas Licht ins Dunkel bringen: Die weibliche Distanz zur EU-Politik hänge nicht so sehr mit der Position im Berufsleben, als vielmehr damit zusammen, "dass Frauen generell mehr Kommunikation wollen". Intransparente Entscheidungsprozesse auf den EU-Ebenen und das Demokratiedefizit, an dem die europäische Einigung bekanntlich seit ihrer Gründung laboriert, erzeuge vor allem bei Frauen die "Distanz", die sich dann in den genannten Zahlen niederschlage, so Sauer. Ein Erklärungsversuch, der vor allem auf Länder wie Deutschland, Österreich und Großbritannien anwendbar sei.

Angst um Wohlfahrtsstaat

Anders zu beurteilen sei die Skepsis vieler Frauen in den nordischen Staaten. Hier, wo die sozioökonomische und politische Gleichstellung weiter als im übrigen Europa fortgeschritten ist, dominiert eher die Befürchtung, dass die bereits erreichte Gleichberechtigung durch Kompetenzabtretung an Brüssel verloren gehen könnte. Vor allem in Schweden und Norwegen wurden vor den Abstimmungen von 1994 Debatten in weiten Teilen der weiblichen Öffentlichkeit geführt, in denen die EU-Mitgliedschaft als Rückschritt für die erkämpften Rechte dargestellt wurde. Des weiteren sei es die Sorge nach dem Bestand des skandinavischen Wohlfahrtsstaates der die Frauen in dieser Region zu "Euroskeptics" werden lasse, meint Sauer.

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Hinweis: Weiteres zum Thema im erwähnten Buch "EU. Geschlecht. Staat" von Eva Kreisky, Sabine Lang, Birgit Sauer (Hg.), erschienen im Universitätsverlag.