Im Jemen trifft die Armut vor allem Frauen und Kinder. | Mädchen bei Hochzeit oft nicht älter als acht Jahre. | Wien. Nadia al-Sakkaf stellt im Jemen eine Ausnahme dar: Die 32-Jährige ist Herausgeberin der Zeitung "Yemen Times" und damit eine der wenigen Frauen des Landes, die eine hohe Position innehaben. Dass sie ihren Job ausüben kann, sei aber auch nur möglich, weil die Zeitung ihrer Familie gehört, berichtet al-Sakkaf, die sich derzeit auf Einladung der "Österreichischen Stiftung für Weltbevölkerung und internationale Zusammenarbeit" in Wien befindet.
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Um die Lage der Frauen in ihrem Heimatland zu veranschaulichen, erzählt sie von einer Sitte aus dem ländlichen Leben. Dort sei es teilweise üblich, dass zuerst die Männer essen und die Frauen und Kinder dann die Reste bekommen. "Dabei sind es oft gerade die Frauen, die schwere Arbeit verrichten", sagt al-Sakkaf. "Sie arbeiten am Feld, verrichten die Hausarbeit und kümmern sich um die Kinder."
Was die Situation in dem Land auf der arabischen Halbinsel noch verschlimmert: Der Jemen gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Laut Schätzungen internationaler Organisationen kann sich etwa ein Drittel der 23 Millionen Einwohner nicht ausreichend ernähren. "Die Armut steigt, und Frauen und Kinder sind dabei der verwundbarste Teil der Gesellschaft", sagt al-Sakkaf.
Die Daten der islamischen Präsidialrepublik sprechen jedenfalls eine deutliche Sprache, was die Lage der Frauen betrifft: Etwa zwei Drittel sind Analphabetinnen. Laut dem UN-Weltbevölkerungsfonds wurde jede vierte Frau Opfer von Genitalverstümmelungen. Und einer Studie des Sozialministeriums zufolge werden mehr als ein Viertel der Mädchen verheiratet, bevor sie das 15. Lebensjahr erreicht haben. Manche der Mädchen sind nicht einmal älter als acht, neun Jahre.
Angst vor Justiz
Internationales Aufsehen erregte der Fall der achtjährigen Nujud Nasser. Sie wurde von ihrem 22 Jahre älteren Ehemann geschlagen und zum Sex gezwungen. Schließlich setzte sich ein Anwalt für sie ein und erstritt eine Scheidung vor Gericht.
Doch der Fall Nasser ist eine Ausnahme. Viele Mädchen und Frauen trauen sich nicht vor Gericht zu gehen, da die Justiz von Männern dominiert wird und oft gegen Frauen entscheidet, berichtet al-Sakkaf. Und ohne männliche Hilfe können Frauen sowieso keinen Prozess anstreben: Frauen brauchen nämlich einen männlichen Vormund, der sie vertritt.
Damit sich die Lage in ihrem Land verbessert, sind laut der Journalistin drei Punkte wesentlich: Zunächst einmal müssten die Gesetze verbessert werden. So hofft al-Sakkaf, dass nun ein Mindestalter für Eheschließungen festgelegt wird. Ein derartiges Gesetz wird gerade von der Regierung debattiert, im Gespräch ist dabei ein Alter von 17 Jahren. Zweitens bräuchte es eine Stärkung der Zivilgesellschaft, damit eine breitere Bewusstseinsbildung stattfindet. Und drittens sei die internationale Gemeinschaft gefordert, betont al-Sakkaf. Sie sollte Finanz- und Entwicklungshilfen an den Jemen an Bedingungen knöpfen, die wiederum genau die ersten beiden Punkte berücksichtigen.