Die eigenen vier Wände seien der gefährlichste Ort für Frauen, sagt Psychiaterin Sigrun Roßmanith - und er wird immer gefährlicher.
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Wien. Eines gleich vorweg: Frauen seien freilich nicht die besseren Menschen, sagt die Psychiaterin Sigrun Roßmanith, die auch zertifizierte Sachverständige mit den Schwerpunkten Gewalt- und Sexualverbrechen ist. Sie sind aber weltweit um vieles öfter Opfer als Täterinnen, so die nackten Zahlen der Kriminalstatistiken. Aktuell steigt in Österreich vor allem die Anzahl der Beziehungsdelikte - welche Gründe das haben könnte, erklärt Roßmanith im Interview mit der "Wiener Zeitung".
"Wiener Zeitung": In den vergangenen Wochen hat sich die Anzahl der Frauenmorde gehäuft, oft war es eine Beziehungstat. Warum?
Sigrun Roßmanith:Die Frauenmorde zeigen nur den Gipfel des Eisbergs. Aktuell greift auch bestimmt ein gewisser Nachahmungseffekt Platz. Bereits vor einigen Jahren hat sich der Trend angekündigt, dass in Beziehungen gewaltsamer miteinander umgegangen wird - der gefährlichste Ort für Frauen sind heute die eigenen vier Wände. Dieser Trend hängt mit der Entwicklung zusammen, dass sich Frauen zunehmend verselbständigen. Sie sind finanziell unabhängiger und lassen nicht mehr alles mit sich machen. Sie gehorchen nicht mehr. Das führt zu Konflikten, in gewissen Kulturen, wo man schneller ein Messer zückt, noch stärker als in anderen. Und das Zusammenprallen von Kulturen schwört natürlich Konflikte herauf.
Worum geht es dabei im Kern?
Einer Gewalttat geht meistens eine Kränkung, eine Demütigung voraus, also, dass die Frau sich zum Beispiel trennen möchte. Der Selbstwert des Mannes ist dadurch massiv getroffen. Er kann nicht verkraften, dass die Frau weggehen wird, weil er sie zu einem Teil von sich selbst gemacht hat, zu einer Art Besitz. Diese Einverleibung des anderen ist immer teuflisch und schreit nach einer gewaltsamen Lösung, wenn der andere weg will: Lieber ganz im Tod besitzen als im Leben als Loser dastehen.
Beruht diese Einverleibung des anderen mitunter auch auf Gegenseitigkeit?
Natürlich, man spricht von pathologischer Symbiose. Man weiß nicht mehr, wo der eine anfängt und der andere aufhört. Entwickelt sich einer aber in eine andere Richtung weiter, kommt es zum Ungleichgewicht. Meistens wird dann der auffällig, der früher der Stärkere war.
Falls der Mann derjenige ist, der sich in eine andere Richtung weiterentwickelt - wie reagiert hier generell die Frau?
Körperliche Gewalt ist nicht die Domäne der Frau, sondern die verbale Gewalt. Natürlich gibt es auch Frauen, die ihren Mann prügeln, sie sind aber grundsätzlich geduldiger und neigen eher dazu, die Gewalt gegen sich selbst zu richten - zum Beispiel in Form von Suchtmitteln oder Alkohol. Wenn Frauen töten, müssen sie sich kreativere Lösungen einfallen lassen, weil sie körperlich unterlegen sind. Sie müssen den Mann vorher wehrunfähig machen, etwa mit einem Schlafmittel. Frauen sind zwar häufiger Opfer und haben einen gewissen Opferstatus, sie sind aber nicht die besseren Menschen.
Ist diese genetisch bedingte körperliche Unterlegenheit der Frau der Grund, dass sie weltweit öfter Opfer als Täterin ist?
Ja, aber nicht nur. Dazu kommt, dass Frauen weniger körperlich gewalttätig sind und sie vielfach in Abhängigkeiten von Männern standen oder stehen. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich zwar einiges verändert, man geht unverbindlichere Beziehungen ein, trennt sich leichter - viele Männer stecken aber noch immer in den patriarchal geprägten Mustern fest. Sie haben sich zu lange in der Herrschaftsposition gefühlt. Die Frau wird nicht als gleichwertig gesehen, sondern als zur Verfügung stehend. Das macht es in Partnerschaften schwierig.
Ist das Suchen nach dem Stärkeren, das es seit Bestehen des Menschen gibt, der Grund, körperliche Gewalt anzuwenden - etwa auch in Kriegen?
Gewalt wird mit Stärke assoziiert - sie ist aber eigentlich eine Schwäche. Man streitet nicht konstruktiv. Man duelliert sich, zeigt die Fäuste, bäumt sich ein letztes Mal auf. Darum sind die letzten Aussprachen so gefährlich. Sie sind oft tatsächlich die letzten.
Frauenhelpline des Bundeskanzleramtes gegen Gewalt: 0800/222 555