Berlin - "Eine Herrenrunde mit Alibi-Frauen", sagt Mariam Notten mit tränenerstickter Stimme. "Die werden ihre Ehefrauen und Töchter da herein setzen, und wir müssen draußen bleiben", beschreibt die Exil-Afghanin ihre Sicht der Afghanistan-Konferenz, die heute, Montag auf dem Bonner Petersberg beginnt. Bei der Weichenstellung für die politische Zukunft Afghanistans ist keine Vertreterin der politisch aktiven Frauenorganisationen eingeladen. Ein Zeichen dafür, dass es Frauen auch nach dem Ende der Schreckensherrschaft der Taliban nicht wesentlich besser gehen werde, meinen Experten und Menschenrechtsorganisationen.
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Von den Vertretern der US-Verbündeten Nordallianz fühlen sich die Frauen jedenfalls nicht repräsentiert: "Die ein bis zwei Frauen in deren Delegation ersetzen nicht die Stimme der von den Taliban bisher unterdrückten Frauen", sagt Notten. "Als wir hörten, dass eine Konferenz stattfindet, sind wir aus allen Wolken gefallen", sagt die für das Afghanische Kommunikations- und Kulturzentrum in Berlin tätige Frau. Bisher sind vom deutschen Auswärtigen Amt vier afghanische Gruppen als Konferenzteilnehmer benannt worden - eine ausschließlich die Frauen vertretende Gruppe ist nicht dabei.
Auch die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Frankfurt fordert von der deutschen Bundesregierung als Gastgeber der Konferenz, sich für eine Beteiligung der Frauen einzusetzen. "Deutschland darf nicht auf eine Teilnahme der afghanischen Frauen bei der Konferenz verzichten", sagte IGFM-Pressesprecher Martin Lessenthin. Bundesaußenminister Joschka Fischer müsse mehr tun, als zu moderieren und den Gastgeber zu geben. "Ein Ausschluss der Frauen bedeutet auch, dass sie zukünftig kein Bestandteil der Regierung sind. Das wäre ein absolutes falsches Ziel".
Auch Reinhard Fichtl, Afghanistan-Experte der Hilfsorganisation "Terre des Hommes", räumt Afghanistans Frauen sehr schlechte Chancen auf eine politische Berücksichtigung ein. "Frauen haben in Afghanistan immer noch keine Lobby". Durch den Abzug der Taliban habe sich die Situation der Frauen erstmal gebessert, ein Garant für die Wahrung ihrer Rechte sei das aber noch lange nicht. Unter den Taliban durften Frauen unter anderem nicht zur Schule gehen, nicht in Krankenhäusern behandelt werden, keinen Beruf ausüben und nur in männlicher Begleitung und unter ihrer Burka das Haus verlassen. "Ich bin sicher, dass die rudimentärsten Rechte den Frauen nach dem Abzug der Taliban gestattet werden, aber einen Zugang zur Macht werden sie nicht erhalten", fürchtet Fichtl.
"Sicherlich wird keine Frau mehr wegen ihres Lippenstiftes in einem öffentlichen Stadion erschossen, aber die politische Zerissenheit wird auch das Gesamtklima in dem Land verderben, worunter besonders die Frauen leiden werden", heißt es auch in deutschen Regierungskreisen.
Eine weiße Weste hat trotz der Versprechungen nach Meinung von Menschenrechtsschützern auch die Nordallianz nicht. "Die Nordallianz ist sehr vielschichtig, darunter gibt es viele Kräfte, die Frauen weiterhin verschleiert und ohne Beruf sehen wollen", sagt Lessenthin. Die Frauen der seit Jahren im Untergrund kämpfenden Revolutionären Vereinigung der Frauen Afghanistans (RAWA) hatten schon beim Einzug der Nordallianz in Kabul gewarnt: "Obwohl die Nordallianz gelernt hat, sich vor dem Westen als demokratisch und Verfechter der Frauenrechte darzustellen, hat sie sich im Grunde nicht verändert".