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Frauen und Männer sind anders krank

Von Eva Stanzl

Wissen

Herz-Kreislauf- Erkrankungen und Diabetes erforscht. | Kompliziertes Wechselspiel von Genen und Umwelt. | Wien. XX und XY: Die Chromosomen-Verteilung zeigt unmissverständlich, Männer und Frauen sind verschieden. Unter anderem deshalb sind sie anders gesund und anders krank. Trotzdem steht nach wie vor auf kaum einem Beipackzettel, wie denn ein Medikament bei Frauen anders wirkt als bei Männern.


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"Die geschlechtsspezifische Medizin ist eine Querschnittsmaterie für alle Disziplinen. Sie muss vernetzt betrieben werden, und wir stehen am Anfang dieser Vernetzung", betont Alexandra Kautzky-Willer. Die Diabetologin und Expertin für Endokrinologie und Stoffwechsel ist die erste Professorin für Gender-Medizin in Österreich an der Medizinuniversität Wien. Gender-Medizin ist eine fachübergreifende Wissenschaft, die geschlechtsabhängige biologische und psychosoziale Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Gesundheitsverhalten von Mann und Frau untersucht.

Zu welchem Anteil hängt aber die Gesundheit an den Genen? "Frauen haben zwei X-Chromosomen, Männer haben ein X- und ein Y- Chromosom. Das ist der grundlegende genetische Unterschied. Die Frage, was eine Frau zur Frau und einen Mann zum Mann macht, ist aber komplizierter, da die Umwelt hier eine wesentliche Rolle spielt", sagt der Genetiker Markus Hengstschläger: "Die Gender-Medizin besteht mindestens zur Hälfte aus der Berücksichtigung von Umweltfaktoren und nur zur Hälfte, wenn überhaupt, aus den biologischen Unterschieden."

Ein Beispiel für dieses komplexe Zusammenspiel zwischen Biologie und Umwelt ist die unterschiedliche Anfälligkeit für Herz-Kreislauferkrankungen. Die Hormone des Eierstocks beschützen bis zu einem gewissen Grad das Herz. Während Frauen vor den Wechseljahren weniger häufig als gleichaltrige Männer an Herz-Kreislauferkrankungen leiden, steigt nach der Menopause die Wahrscheinlichkeit einer diesbezüglichen Erkrankung bei Frauen sprunghaft an und übertrifft in ihrer Häufigkeit die der Männer.

Das Bild ändert sich aber, wenn Frauen rauchen: "Raucherinnen haben ein erhöhtes Thrombose-Risiko. Die Eierstock-Hormone werden dann gefährlich, weil sie das Herz-Kreislauf-Risiko erhöhen", warnt der Reproduktionsmediziner Wilfried Feichtinger.

Auch der Schwangerschaftsdiabetes illustriert die komplexe Wechselwirkung. Einer der Hauptrisikofaktoren ist Fettleibigkeit. Im Mutterleib sickert die Krankheit aber bis zu den Genen durch. So tragen Mädchen ein höheres Risiko als Buben, den Diabetes zu erben, so Kautzky-Willer. Buben haben dagegen eine höhere Säuglingssterblichkeit in der Folge.

Auf einer anderen Ebene liegt der Einfluss von psychosozialen Faktoren - wie Wohlstand oder die Freiheit, seine Meinung zu äußern. "So etwa sind in patriarchalen Strukturen Frauen meistens kränker. Depressionen sind häufiger unter Migrantinnen, die einen schlechteren Bildungsstatus haben und schlechter Deutsch sprechen als ihre Männer. Sie sind öfter übergewichtig, haben häufiger Diabetes und psychische Erkrankungen", sagt Kautzky-Willer. Laut österreichischer Gesundheitsbefragung 2007 wirkt sich ein schlechterer, ärmerer Lebensstil ungleich stärker bei Frauen auf Krankheiten aus als bei Männern.

Männer gehenseltener zum Arzt

Männer setzen sich dagegen mehr Gesundheitsrisiken aus als Frauen. Anstatt sich fit zu halten, gehen sie erst zum Arzt, wenn sie krank sind, betont Siegfried Meryn, Präsident der internationalen Gesellschaft für Männergesundheit. Deswegen verursachen sie auch höhere Gesundheitskosten.

Obwohl Männer seltener zum Arzt gehen, wisse man vergleichsweise mehr über ihre Gesundheit, sagt Kautzky-Willer. Große medizinische Studien würden vorwiegend an Männern gemacht. "Früher waren nur 15 bis 20 Prozent Frauen beteiligt. Heute sind es rund 40 Prozent, aber selbst wo Frauen beteiligt sind, werden die Ergebnisse selten getrennt ausgewertet", so die Spezialistin. So etwa testen Pharmafirmen nicht, ob Arzneien in der Schwangerschaft verträglich sind. "Es ist gefährlich, die Versicherungskosten sind hoch und der Markt klein", sagt Kautzky-Willer. Stattdessen warne der Beipacktext "für alle Fälle" vor einer Einnahme während der Schwangerschaft.