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Frauen- oder Männerherrschaft? Auch die Kunst ist sich da nicht sicher, selbst die Moderne kann das Schwarz-Weiß-Schema nicht auflösen.
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Was ist mit unserem Frauenbild los? Nach heftigem feminis-
tischem Kampf der Siebzigerjahre um Kenntnisnahme eines bis heute historisch nicht beweisbaren Matriarchats vor der Etablierung des Patriarchats herrscht Göttinnendämmerung. Im vielstimmigen postkolonialen Weltbild endet postfeministische Korrektheit bei Quotenregelung und Gehaltsanpassung. Manches ist vergessen oder am Weg zurück ins 19. Jahrhundert. Damals hatte der Baseler Gelehrte Johann Jakob Bachofen mit der Publikation von "Mutterrecht und Urreligion" 1861 die Debatte über das Matriarchat losgetreten. Nicht allein die ersten Emanzen, Kunst und Wissenschaft allgemein, waren infiziert von der Idee der Frauenherrschaft in der Frühzeit der Menschheit.
Dazu wandelte sich vor 1900 das Interesse an der klassischen Antike bei den Künstlern in Richtung Ur- und Frühgeschichte, auch Ozeanien, Kinderkunst und die von Außenseitern wurden Mode. Diese vom logischen Denken unverdorbenen Ursprünge brachten der Kunst der Moderne die Utopie wesentlicher Innovation. Doch die Gleichung Frauendominanz und Mythos - Männerdominanz und Logos hält sich hartnäckiger als alle anderen Modelle. Ein Schwarzweißsehen, das die Moderne bis jetzt nur partiell auflösen konnte. Das vielfältige Erscheinungsbild der frühen Göttinnen zeigt: Diese weiblichen Idole mussten nicht schön sein wie die spätere Aphrodite, sie waren offenbar keine rein männlichen Projektionsbilder, integrieren aber Weltdeutungen und Rituale, die vor der schriftlichen Evidenz mehr an Mut zur Interpretation erfordern.
Orientierung an der Antike. Niki de St. Phalle mit ihren "Nanas", Nancy Spero, Louise Bourgeois und davor Pablo Picasso, Alberto Giacometti, Jean Arp, Max Ernst oder Henry Moore haben sich am minoischen Kreta und den Kykladen sowie den frühen Venusstatuetten orientiert. Picasso besaß zwei Kopien der "Venus von Lespugue" (ca. 20.000 v. u. Z.), deren plastische Gestaltung ihn mit zum Kubismus anregte. "Venus" ist dabei ein Hilfsname wie "Große Mutter" oder "Große Göttin". Die neuen Wege in der Kunst orientierten sich an Formfindungen einer Hochkultur, die sich die Donau wie den Alpenbogen entlang von Frankreich bis nach Bulgarien abzeichnet. Von der Menschheit im Kindheits-Stadium kann dabei kaum die Rede sein.
Die ersten Göttinnen, wenn sie denn überhaupt als solche angesprochen werden können, sind nicht alle so füllig wie die "Venus von Willendorf", nicht alle verdecken ihr Gesicht mit einer Haube oder besonderen Frisur - viele der dünneren weiblichen Idole überliefern Arm- oder Beinstellungen, die auf Schamanismus schließen lassen. Sie haben zuweilen Fettsteiße oder phallische Hälse und Vogelköpfe, oder sie tragen seltsame Hüte und spielen Instrumente, die mit den frühen Kulten in Zusammenhang stehen. Sie treten anders als die von einem "Denker" begleitete Göttin aus dem rumänischen Cernavoda noch allein auf, erst ab 6000 v. u. Z. gibt es männliche Begleiter, auch Krieger.
Die noch sichtbare Färbung der "Venus von Willendorf" und mancher steinzeitlicher Gefährtin in dunklem Rotocker lässt auf Totenkult schließen, dazu herrscht die Annahme, dass auch die Körper vor der Bestattung - zuweilen in Hockerstellung wie im Uterus vorgenommen - mit dieser Farbe eingerieben wurden. Wir finden das Rot auch in der Höhlenmalerei in den oft gespenstisch anmutenden Handsignaturen der frühen Künstler und können auch hier auf Kulte Rückschlüsse ziehen, die wohl mit Initiation von der Kindheit in die Pubertät, Hochzeit oder Totenfeiern in Zusammenhang stehen. Wohl künstlerische Wiederbelebungsversuche, kein Zeichen ist bedeutungslos, auch wenn wir sie nicht verstehen.
Zyklen und Zuständigkeiten. Die Zuständigkeiten der Frauenfiguren im frühen Kosmos sind komplex. Der Lebenskreislauf war nach der Natur zyklisch angelegt: Göttinnen der Fruchtbarkeit im Frühling, sexuell anziehende Mädchen und Schwangere, stehen im Jahreskreislauf jenen Matronen des Winters, die offenbar für Tod und den Glauben an eine Wiedergeburt zuständig waren, gegenüber. Sieht man sich die "Willendorferin" mit ihren verkümmerten Händchen auf der schweren Riesenbrust und kleinen kurzen Beinchen genauer an, ist sie einfach keine junge Schwangere, sondern wirkt wie eine unerotische Matrone, die bereits viele Geburten hinter sich hat. Wurde das in frühen Zeiten überlebt, war es offenbar Grund besonderer Verehrung. Die kleinen Idole sind entweder kleine Abbilder eines größeren Göttinnenbildnisses oder sie deuten durch ihre Stellungen auf Schamanismus hin. Darauf lassen die begleitenden Tiere, Tiermasken, aber auch im Betgestus erhobene Arme sowie Himmel und Erde verbindende Haltungen schließen.
Auf Malta oder auch in Anatolien finden sich die fülligen Damen ab 6000 v. u. Z. wieder, hier und auf Kreta gab es offenbar priesterliche Vermittlerinnen zwischen Himmel, Erde und der Unterwelt der toten Ahnen. Solche Schwellengestalten, die für das Geleit ins Jenseits wie ins Leben sorgen und die Einheit mit der Natur aufrecht erhielten, dürften auch hinter mancher Steinsetzung stehen. Magische Wallfahrtsorte der Vermittlung zu den Sternen der Jenseitigen. Aber auch die Erde selbst kann mit künstlichen Hügeln einen schwangeren Bauch als Kultort anzeigen wie im englischen Silbury Hill bei Avebury, damit zeigt die Natur sich selbst als heilig.
Zwischen Mensch und Tier steht bereits in Zeiten frühen Ackerbaus der Typus einer "Herrin der Tiere", die wohl auch auf den vollzogenen Prozess der Domestizierung nach langen nomadischen Zeiten schließen lässt. In Anatolien tritt neben dieser die Frau als Mutter und in Umarmung mit einem Partner, in einer Art zeremoniellen Hochzeit, auf. Nicht allein der Unterwelt verbunden sind die minoischen Schlangengöttinnen in besonderen Kostümen, da sie wie Idole aus dem frühen Ägypten im Zusammenhang mit Vorratsräumen gefunden wurden. Die auf zwei Löwen stehende Mischgestalt der altbabylonischen Zeit erfreut als "Königin der Nacht" von 2500 v. u. Z. Besucher des British Museums. Ihre Hörnerkrone weist sie als eine der höchsten Göttinnen neben dem obersten Sonnengott aus, dafür sprechen auch die Maßbänder in ihren Händen. Ihre dämonischen Züge verweisen durch die Flügel, Vogelfüße und die beiden Nachteulen auf die Existenz der Unterwelt, doch sie ist erotisch, lächelt und war rot und blau bemalt, was wie die Löwen Macht über den Tod bedeutet. "Im Löwen(fell) sein" ist wohl eine schamanistische Praxis, die dann auch noch für Herkules, Daniel in der Löwengrube und Christus Rückkehr aus der Vorhölle bedeutet, dass Menschen unsterblich sind. Wie die Nyx der Griechen scheint die Totengöttin die Seelen nach links und rechts in eine andere Geografie - vom Dies- ins Jenseits zu geleiten, sie steht dazwischen, ist eine zwielichtige Gestalt, weshalb die Wissenschaft sie früher fälschlich für das Leitmotiv eines Bordells hielt. Schon eher ist sie mit der späteren jüdischen Lilith, Adams erster Frau, verwandt. Diese wollte nicht gehorchen und nicht unter dem Mann liegen, weshalb sie im Monotheismus zur Kinder mordenden Dämonin verwandelt wurde.
Dämonische Frauen. 1902 rezipierte der später abstrakte Maler Frantiek Kupka die Ballade von der keltischen Pferdegöttin Epona auf ironische Weise, denn für ihn war die Frau im Zeitgeist der Jahrhundertwende wieder dämonisch, freilich mit Ambivalenzen voll sexueller Untertöne. Epona, die noch in römischer Zeit verehrt wurde, zeigt sich als eine der verbliebenen Gestalten der Naturreligionen mit Hinweis auf die frühe dominante Stellung der Göttinnen in der Gesellschaft am Anfang und Ende des Lebens sowie im Jahreskreislauf. Ob es deshalb auch eine unhierarchische Gesellschaftsordnung mit hochstehender Stellung der Frau etwa bei den Kelten, Germanen oder im alten Kreta gab, bleibt ungewiss. Jedoch lassen die lange ohne männliche Begleiter auftretenden weiblichen Idole zumindest auf verschiedene Formen der Verehrung schließen, die später von der Wissenschaft als Frau in drei Gestalten, als Trias ähnlich der christlichen Trinität, gesehen wurde.
Monotheistische Religionen haben vieles von den Ursprüngen überlagert und Maria, eine Nachfahrin der spätägyptischen allmächtigen Isis, wurde als vielgeschätzte Schutzmantelmadonna in der Gegenreformation aus den Kirchen verbannt. Zu ähnlich ist sie in dieser Gestalt der "Königin der Nacht", Wolfgang Amadeus Mozarts zwielichtiger Antagonistin der "Zauberflöte", von der die profanen Frauen der Moderne wieder ihren Ausgang nehmen.